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30.11.2020
Autorisiert die Wissenschaft den Staat zur Allmacht?

Autor
von Christian Heinz
Eine wissenschaftliche Wahrheit muss heute nicht mehr danach gemessen werden, ob sie zur herrschenden politischen Ideologie passt. Diesen herausragenden Stellenwert musste sich die Wissenschaft im Mittelalter erst erkämpfen. Ein Einzelner, Galileo, hatte eine Wahrheit gegen das Interesse der Machthaber durchgesetzt. Seitdem ist die politische Vereinnahmung der Wahrheit verpönt.
Doch wissenschaftliche Ergebnisse zum Klimawandel oder Coronavirus müssen heute durch die Machthaber verteidigt werden. Das wird auf einer Weise gemacht, die Widerstand auslöst. Es entsteht das Problem, dass die Politik nicht mehr durch Rückgriff auf die Wissenschaft ihre Macht erhalten, also gleichzeitig Machthaber und Rechthaber, sein darf. Damit würde sie die Rolle der Wissenschaft und die Funktionsweise der Demokratie aushebeln. Keiner darf mehr den Anspruch erheben, im alleinigen Vollbesitz der Wahrheit zu sein. Sie wird in fehlbaren Prozessen gefunden und gilt immer nur vorläufig. Wissenschaft ist eine Annäherung an die Wahrheit. Im Verlauf der Maximierung der Wahrheit ist sie gleichwohl rational akzeptierbar, weil ihre objektive Gültigkeit kulturübergreifend durch Werte wie Kohärenz, Einfachheit, und Erklärungskraft (Allgemeinheit) festgesellt werden kann. Daher konvergieren wissenschaftlichen Theorien zu einem Fortschritt. Bestenfalls beruft sich ein Politiker daher auf sie.
Das Eine ist die wissenschaftliche Begründung eines Gesetzes oder Verordnung, etwas ganz Anderes ist aber seine Verfahrenslegitimation. Wissenschaftliche Ergebnisse entscheiden nicht allein über die Durchsetzung von Gesetzen. Andernfalls hätte man eine Diktatur von Sachzwängen, deren schnell wandelbare Gültigkeit eine willkürliche Wirkung entfalten würde. Damit wäre das gesellschaftliche Zusammenleben wohl kaum geordnet und die politische Macht einer Kontrolle entzogen. Es gibt einen Punkt, an dem wissenschaftliche Wahrheiten politisch verarbeitet werden müssen. Diese Trennlinie ist wichtig, um Verschwörungstheorien aufzuhalten. Verwischt sie, können autokratische Machthaber nicht mehr durch eine Wahrheit gestellt werden, wenn sie selbst die Wahrheit kontrollieren können. Auch die Wissenschaft entfaltet sich am besten und hat die größte Autorität für alle nur insofern ihre Ergebnisse offen sind.
Allerdings wird die Wissenschaft zunehmend politischer. Sowohl bei COVID-19 und als auch Klimawandel „rächt sich die Natur,“ die personifiziert wird und somit nicht mehr das Objekt von nüchternen Untersuchungen bleibt. Plötzlich soll Wissenschaft wieder ein politisches Instrument sein und die herrschende Ideologie stützen. Was ist die Rolle der Wissenschaft bei einer politischen Entscheidung? Es muss sichtbar bleiben, dass die Wissenschaftsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert bleibt. Die Wissenschaft ist unabhängig. Theorien über die Verbreitung des Virus durch ultrafeine Partikel als Träger hören sich politisch motiviert an. Sind die Viren dann noch infektiös? Partikel im Indoor- und Outdoor-Bereich sind wahrscheinlich unterschiedlich gefährlich. Wird das angesichts deren Verteufelung noch berücksichtig?
Ein weiterer falscher Ansatz ist beispielsweise die Vermischung von Recovery Fund und Green Deal, als ob das eine automatisch mit dem anderen zu tun hätte. Hier entsteht der Verdacht, dass Wahrheiten politisch genutzt werden. Das darf nicht sein und wird der Rolle der Wissenschaft nicht gerecht. Wird nicht mehr versucht der wissenschaftlichen Wahrheit zu folgen, sondern nur noch das eigene Überzeugungssystem zu stützen, ist man in einer Ideologie angekommen. Eine Schwarz-Weiß-Malerei mit den entsprechenden Feindbildern beginnt. Das sind die Ursachen für die das Aufblühen von Verschwörungstheorien, wie es derzeit deutlich erkennbar ist.
Anstatt einen „Forschungszweck“ zunehmend den politischen Ambitionen gemäß an- und auszulegen, muss zuerst wieder freier geforscht werden können, bis die Ergebnisse valide genug sind, um politische Entscheidungen rechtfertigen zu können. Das würde allen „Covidioten“ und Klimaleugnern den Garaus machen. Unausgereifte Studien entfalten vorab eine solche Wirkung, dass Klarstellungen hinfällig werden. Die Auseinandersetzung führender Virologen in Deutschland spricht hier Bände. Zu oft scheint die Forschung von ihren Auftraggebern abhängig zu sein. Gleichzeitig entsteht ein Wettrennen um die öffentliche Wirksamkeit mit den schnellsten und dramatischsten Ergebnissen.
Überraschende Forschungsergebnisse werden seltener, politische Unterstützung dagegen häufiger. Belehrende Einstellungen in Verbindung mit tendenziösen Studien könnten in ein geschlossenes Weltbild führen, das alles „von oben“ neu zu erklären versucht und die wahren Probleme verdrängt. Zur Frage der Wahrheit muss die Öffentlichkeit besser eingebunden werden, denn alle haben ein Interesse an der Wahrheit. Die geringe Einbindung der Parlamente in den Erwägungen der Pandemie-Maßnahmen war ein Fehler. Stattdessen gab es ein Spektakel des Establishments: Drosten gegen Streeck und Söder gegen Laschet.
Wahrheit darf nicht in den Strudel von politischen Machtspielen geraten. Am individuellen Zugang zur Wahrheit wird gerüttelt. Wahrheit wird zur Konsensfindung eines auserwählten Kollektivs gemacht, ob im Corona-Kabinett oder in den Kreisen von medial wirksamen Virologen. Wahrheit ist nicht mit Konsens gleichzusetzen. Hier wurde der Schritt zur demokratischen Verarbeitung der wissenschaftlichen Wahrheit übergangen. In der Konsequenz geht es nur noch darum, wer zu welchem Lager entsprechend der generierten Feindbilder gehört. Außerhalb der Lager können Kritiker seitdem allzu leicht als Corona-Leugner oder Klima-Leugner diffamiert werden. Eine Bekenntnispflicht wird hier eingefordert, wo eine Gleichschaltung zur Wahrheit nicht möglich wurde. Auf diese Weise verliert man Menschen in einer Demokratie. In einer Demokratie beruht die soziale Geltung von Gesetzen auf der Integrität ihrer Verfahrenslegitimation – auch für diejenigen, welche dieses Gesetz für unbegründet halten.
Doch bei keiner politischen Entscheidung wird ihr Gegner im Sinne der Wahrheit widerlegt und ist somit „auf der falschen Seite“. Das bedeutet nur, dass vorläufig etwas Anderes als notwendig erachtet wurde. Und die Suche nach der Wahrheit geht in allen Institutionen der Gesellschaft weiter. Jede Kritik bleibt grundsätzlich berechtigt.
Christian Heinz ist Leiter des Brüsseler Kontaktbüros des deutschen HKI Industrieverband Haus-, Heiz- und Küchentechnik. Vormals war er politischer Berater für den Bereich Wirtschafts- und Währungsunion für die Abgeordneten Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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