|

Die Merkel-Nachfolge: Baerbock oder Laschet?

von Kai Weiß

Könnte Deutschland bald eine Grüne Kanzlerin haben?

Das fragt sich das Land, seit die Grünen am Montag Annalena Baerbock als Kandidatin für die Wahl im Herbst ausgewählt haben, während die regierenden Christdemokraten (CDU) sich für den nicht sonderlich beliebten Armin Laschet entschieden haben. Die Umfragen sofort nach der Entscheidung sprachen Bände: Die Grünen liegen mit 28% vor der CDU mit 21%.

Was auch immer passiert, die politische Landschaft in Deutschland steht nach mehr als 15 Jahren unter Angela Merkel vor dramatischen Veränderungen. Gleichzeitig bleibt offen, wer ihr Nachfolger sein wird.

Baerbock, die man zumindest vorerst als Spitzenkandidatin bezeichnen könnte, führt die Grünen seit 2018 im Tandem mit dem ebenso beliebten Robert Habeck (der etwas verärgert war, nicht als erster Kanzlerkandidat der Partei überhaupt ausgewählt worden zu sein).

Beliebt mag sie sein, aber die meisten Deutschen wissen eigentlich nicht viel über Baerbock. Woran glaubt die Frau, die bald die mächtigste Politikerin Europas werden könnte, eigentlich?

Natürlich hat der Klimawandel und Umweltschutz höchste Priorität und es ist eine „soziale und ökologische Transformation“ erforderlich. ‚Sozial‘ und ‚ökologisch‘ sind in der Tat die Worte, die ihr Weltbild zu definieren scheinen, denn sie ist auch eine Verfechterin dessen, was sie eine „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ nennt.

Sie teilt nicht den unverhohlenen Antikapitalismus mancher in der modernen grünen Bewegung, argumentiert dennoch, dass große, vor allem multinationale Konzerne reguliert werden müssen und dass Wohlstand nur dann gut ist, wenn er auch dem Klima der Erde gerecht wird. Freier Handel sollte nur mit umweltfreundlichen Ländern möglich sein. Alles in der Wirtschaft sollte darauf ausgerichtet sein, sie grüner zu machen – und es ist der Staat, nicht der Markt, der diese Bemühungen leiten sollte. Kein Wunder also, dass Baerbock einen „Green New Deal“ und massive Investitionsprogramme nach dem Vorbild von Joe Bidens Plan für die USA fordert.

Fairerweise muss man sagen, dass einige der konkreteren Ideen der Grünen sogar aus einer eher marktwirtschaftlichen Perspektive heraus Sinn machen würden: Um ihr Ziel einer 70-prozentigen Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 zu erreichen – ein viel höheres Ziel ist, als derzeit im EU-Recht verankert ist – ist ihr am wichtigsten, die Kohleindustrie – eine Brutstätte der Sonderinteressen, die von der Regierung verwöhnt wird – innerhalb des nächsten Jahrzehnts vollständig abzuschaffen. Sie erwartet, dass Technologien weiter voranschreiten, so dass Elektroautos bald der Status quo sein werden. Ihr Blick auf die Umwelt ist erfrischend realistisch: Sie will zum Beispiel die Menschen in ländlichen Gegenden nicht zwingen, ihre Autos loszuwerden (wie es von manch extremeren Aktivisten gefordert wird), und sie sieht deutlich mehr Potenzial in den Auswirkungen persönlicher Entscheidungen im Vergleich zu großen systemischen Veränderungen. „Es geht nicht darum, das Individuum zu verändern. So können wir das Klima nicht retten“, erklärt sie. Wie sie wiederholt argumentiert hat, kümmern sich die Menschen ohnehin schon um die Umwelt. Die Aufgabe der Regierung ist es, es ihnen leichter zu machen, dies auch umzusetzen.

Ihre umweltpolitischen Ansichten übertragen sich auch in unerwartete Ansichten zur Außenpolitik. Es überrascht nicht, dass sie eine „offene, pro-europäische Haltung“ vertritt und sich für alle möglichen „europäischen Sozialpolitiken“ einsetzt, wie etwa eine EU-weite Arbeitslosenversicherung. Für sie ist die EU zu sehr auf wirtschaftliche Belange reduziert worden. Stattdessen plädiert sie dafür, die Nationen Europas zusammenzubringen, mit Ideen, die dem Hyperföderalismus der Brüsseler Elite gefährlich ähnlich klingen. Als ehemalige Studentin der London School of Economics war sie vom Brexit enttäuscht und sprach sich für eine Wiederholung des Referendums von 2016 aus – eine Ansicht, die nicht von so vielen Briten geteilt wurde, wie sich herausstellte.

Ermutigender ist jedoch, dass Baerbock auch eine überzeugte Atlantikerin ist. Am Earth Day rief sie zu einer „Klimapartnerschaft“ zwischen Europa und den USA auf. Interessanterweise formulierte sie einen Teil der Lösung, auf ein System von „Wettbewerb“ und „industrieller Innovation“ aufzubauen, das sich deutlich von dem autoritären Ansatz Chinas abheben würde. Während sich ein Großteil der deutschen politischen Elite um Beziehungen zu Russland bemüht, ist Baerbock als Kritikerin von Wladimir Putin bekannt. Unter ihrer Führung taten die Grünen das bisher Undenkbare und bezeichneten in ihrem Programm die NATO als „unverzichtbar“.

Während Baerbock also sicherlich viele der Probleme der Grünen in sich vereint, insbesondere deren Verbotskultur, präsentiert sie sich in erster Linie als Gemäßigte, der einfach die Umwelt und die Rechte der Frauen besonders am Herzen liegen. Und während Grünen-Partei in vielen anderen Ländern (wie Großbritannien) unapologetisch etatistisch sind, hat Baerbock sich tatsächlich geweigert, sich als „links“ zu bezeichnen. Erstens, weil sie sich selbst als „liberal statt autoritär“ betrachtet und zweitens, weil sie sagt, dass die „Welt komplexer geworden ist“, als ein veraltetes Links-Rechts-Paradigma beschreiben kann.

Laschet: mehr Merkel als Merkel?

Wenn Baerbock einen entscheidenden Bruch mit der Vergangenheit darstellt, jemand, die – im Guten wie im Schlechten – den Status quo hinter sich lassen will, ist ihr Hauptkonkurrent Armin Laschet alles andere als das. Er ist die Verkörperung der Merkelschen Politik, die Deutschland in den letzten 16 Jahren so dominiert hat.

Laschets größte Stärke und Schwäche ist sein Sinn für Mäßigung, Zentrismus und Kompromissbereitschaft. Dies hat ihn zu unerwarteten politischen Erfolgen geführt. In den letzten vier Jahren war er Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen – ein Kernland der Arbeiterklasse, das normalerweise ein schwieriges Terrain für einen Konservativen wäre. Im Allgemeinen war seine Karriere eine des soliden, etwas versteckten, übergangenen Erfolgs – zumindest bis zur Corona-Krise.

Doch die für ihn charakteristische Mäßigung, die in Friedenszeiten ein Vorteil war, wirkte während einer sich zuspitzenden Pandemie wie Unsicherheit und Wankelmut. Im Angesicht der Krise drehte sich Laschet im Wind, war zuerst gegen zu drastische Maßnahmen, schloss sich dann aber doch der Lockdown-Manie an und änderte seitdem immer wieder Richtungen.

Das gleiche unkonkrete Vorgehen zeigt sich auch in seinen politischen Ansichten, die schwer zu entschlüsseln sind. Er ist generell für die soziale Marktwirtschaft, will Bürokratie abbauen und Industrien stärken – aber nur bis zu einem gewissen Punkt. In der Außenpolitik plädiert er dafür, Russland und China zu verstehen und einen Dialog mit ihnen zu führen – aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Er will die Umwelt schützen – aber nur, wenn es der Industrie nicht schadet.

Ein Bereich, in dem er sich klarer ausdrückt, ist die EU. Als bekennender Pro-Europäer und ehemaliger Europaabgeordneter hat er Angela Merkel dafür kritisiert, dass ihr der „Mut“ von Emmanuel Macrons weitreichender Visionen für den Kontinent fehle. Andererseits hat er selbst nicht viel in Sachen Europapolitik vorgeschlagen und ist skeptisch gegenüber den tatsächlichen Details von Macrons Plänen.

Vielleicht kann man Laschet am besten so beschreiben, dass er politische Ansichten hat, sie aber nicht gerne bekundet. Er will Dinge verändern, aber immer nur mit angezogener Bremse, nur für den Fall, dass etwas schief geht oder jemand sauer wird. Er würde sagen, dass er sich Angela Merkel zum Vorbild nimmt, aber noch mehr einen anderen ehemaligen Bundeskanzler, Helmut Kohl. Unglücklicherweise für Laschet sieht ein Großteil der deutschen Wählerschaft ihn dadurch (teils zu Unrecht) als schwach und persönlichkeitslos an, und das spiegelt sich auch in seinen Umfragewerten wider.

Ob das bedeutet, dass der Vorsprung der Grünen in den Umfragen halten wird, ist die Millionenfrage. Sicherlich liegt Baerbock nach den aktuellen Zahlen deutlich vor Laschet und Olaf Scholz von den Sozialdemokraten. Aber Umfragen Monate vor einer Wahl sind nur eine Momentaufnahme, und die Dinge werden sich sicher ändern, wenn die Deutschen die Politik und die Erfolge ihrer Kandidaten genauer unter die Lupe nehmen.

Eines ist jedoch sicher: Die Politik wird sich im Post-Merkel-Deutschland verändern. Die politische Landschaft wird zersplittert sein, mit neuen Stimmen, die mit der alten Garde um die Wette streiten. Und natürlich werden die Auswirkungen der Wahl im Herbst dieses Jahres nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und dem Rest der Welt zu spüren sein – unabhängig davon, ob Baerbock oder Laschet siegreich hervorgeht.

Kai Weiß ist ein Vorstandsmitglied des Friedrich A. v. Hayek Institut und wissenschaftlicher Koordinator des Austrian Economics Center.

Source: CapX

Author

Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

Gefällt Ihnen der Artikel?

Das freut uns! Bitte unterstützen Sie uns, wenn Sie mehr solcher Artikel lesen möchten:

Das interessiert Sie vielleicht auch:

Diesen Artikel teilen!

Jetzt zum Newsletter anmelden!