|
22.05.2015
Das Ende des Patriarchen

Autor
Das Ende des Patriarchen
Der VW-Konzern ist dem Führungsstil seines Patriarchen entwachsen. Ferdinand Piëch dankt ab. Zurück bleibt eine große Abhängigkeit vom chinesischen Markt.
von Raoul Sylvester Kirschbichler
Das Ziel ist eindeutig und dementsprechend klar formuliert: Volkswagen möchte spätestens 2018 das weltweit führende Automobilunternehmen sein. Nicht nur aus wirtschaftlicher, auch aus ökologischer Sicht. Ein einzigartiges, gleichzeitig ehrgeiziges Vorhaben, das neue, unglaubliche Investitionen mit sich bringt. Summa summarum geht es um die schwer vorstellbare Summe von 108 Milliarden Euro, die der Automobilhersteller für neue Technologien, neue Modelle und Fabriken ausgeben wird.
2014 erwirtschaftete die Volkswagen AG einen Umsatz von 202 Mrd. Euro und verkaufte weltweit rund 10,137 Millionen Fahrzeuge; VW-Kernrivale Toyota verkaufte sogar 10,23 Millionen. Der Vergleich verdeutlicht, dass Volkswagen nur ein kleines Wachstum benötigt, um erstmals zum größten Autohersteller der Welt aufzusteigen. Gleichzeitig sind die Prognosen für Toyota vor allem in Japan nicht wirklich vielversprechend. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus dem Frühjahr 2014 wird in diesem Jahr voll wirksam und lässt die Preise rasant in die Höhe klettern.
Das Auto der Zukunft
108 Milliarden Euro – noch nie hat ein deutsches Unternehmen so viel Geld für Investitionen in die Hand genommen. Dabei geht es Volkswagen nicht primär darum der größte Autohersteller zu werden, 86 Milliarden Euro sollen langfristig einen Technologie-Vorsprung sichern, der auch den künftigen strengen Umweltstandards in Europa gerecht wird. Die EU-Umweltvorgaben umzusetzen wird auch für Volkswagen eine große Herausforderung: Neue PKW sollen ab 2020 nur noch bis zu 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen (derzeit sind es 130 Gramm). Das würde einem Benzinverbrauch von 4,0 Liter und einem Dieselverbrauch von 3,5 Liter auf hundert Kilometer entsprechen.
Doch um die ökologische Zielsetzung zu erreichen, muss der Konzern ein breites gesundendes Fundament besitzen. Die verschiedenen Statistiken verdeutlichen allerdings, dass der VW-Nettogewinn in erster Linie vom chinesischen Markt abhängt. Tendenz weiter steigend. Mit ein Grund weshalb 22 Milliarden Euro – also nahezu ein Fünftel der gesamten Investitionssumme – nach China fließen. Geplant sind Werk Nummer 18, 19, und 20; eines für die Schnellschaltautomatik DSG (in Tianjin), nicht weit von der Hauptstadt Peking entfernt, und zwei neue Fahrzeugfabriken (ebenfalls in Tianjin und in Qingdao), die bereits zum Jahreswechsel 2017/2018 in Betrieb gehen sollen. Kostenpunkt: 2 Mrd. Euro.
Die Abhängigkeit
Obwohl wir wissen, dass ein Drittel aller Autos in China verkauft werden, lässt sich aus dem VW-Zahlenberg nicht verlässlich herauslesen, zu wie viel Prozent der gesamte Nettogewinn vom chinesischen Markt abhängig ist. Sicher ist: Die Abhängigkeit von den beiden in China produzierenden Joint Ventures mit den Staatsunternehmen Shanghai Automotive (Saic) und First Automotive Works (FAW) bereitet der VW-Führungsspitze große Kopfzerbrechen. Aber ohne lokale Partner können internationale Konzerne in China keine Autos bauen. Deshalb wurde der Vertrag mit FAW um 25 Jahre verlängert – zu denselben Bedingungen und mit gleichbleibenden Anteilen am Joint Venture: Die hohen Gewinne müssen weiterhin geteilt werden. Die Abhängigkeit von China wird der VW-Führung noch deutlicher vor Augen geführt, je stärker der Absatz in den anderen wichtigen Auslandsmärkten einbricht: Südamerika (2014) minus 20 Prozent und Russland (2014) minus 13 Prozent.
Hatte Ferdinand Piëch den chinesischen Markt falsch eingeschätzt oder sein Potenzial vielleicht sogar unterschätzt? China ist für Volkswagen seit Jahren wichtiger als Deutschland. Piëchs Führungsstil, der eines Patriarchen, war getragen von der Überzeugung, dass das gesamte Volkswagenimperium von Wolfsburg aus zu steuern ist. Natürlich: China war auch für Piëch wichtig, aber die image-schädigenden Probleme tauchten in erster Linie im Fernen Osten auf:
Letzten November musste Volkswagen wegen angeblicher Hinterachsen-Probleme zurückrufen. Die Pekinger Aufsichtsbehörde bestand darauf, obwohl VW glaubhaft versicherte, dass diese Achselprobleme nur bei unsachgemäßen Unfallreparaturen auftreten können. Bereits im März 2013 waren 384.000 Autos von einer VW-Rückholaktion betroffen. Der Grund waren Probleme mit dem DSG-Getriebe.
Im Sog einer boomenden und expandierenden Wirtschaft wird Chinas Mittelschicht zweifelsfrei qualitätsbewusster. Vermeintliche Mängel werden auf Onlineforen sofort abgehandelt, Autobesitzer organisieren sich über die sozialen Netzwerke und demonstrieren schließlich vor den VW-Niederlassungen in Chengdu oder Foshan.
Der Sieg des Ziehsohns
Dass Piëch kein ausgesprochener China-Fanatiker war, ist verständlich. Es ist unumstritten, dass der Konzern dem Führungsstil seines Patriarchen entwachsen ist und, dass sich auch der Aufsichtsrat verändert hat. Er führte Volkswagen wie einen Familienkonzern: zentralistisch und eigenwillig. Freiwillig wäre er nie in Ruhestand gegangen. Rund drei Wochen tobte der Machtkampf zwischen dem Übervater Piëch, 78, und seinem beruflichen Ziehsohn Winterkorn (67). Kaum jemand hat erwartet, dass er die Angriffe des Patriarchen überstehen kann. Mittlerweile weiß es die Automobil-Welt besser. Dabei bleiben die außergewöhnlichen Verdienste Piëchs natürlich unumstritten.
Die Börse zeigte sich nach seinem Abschied nicht erschüttert. Unter dem Strich hoffe alle auf frische Impulse, auf strukturelle und personelle Veränderungen. Als ein erster Schritt gilt der schon beschlossene Aufbau einer eigenständigen Holding für die schweren Nutzfahrzeuge mit den Töchtern MAN und Scania. Dieser „eigene“ Konzern innerhalb des Unternehmens soll eine engere Vernetzung der Marken, kürzere Entscheidungswege und mehr Tempo ermöglichen. Ein Zeichen, dass der Autogigant endlich diejenigen Führungsstrukturen bekommen wird, die er schon lange braucht. Er ist wieder auf der Überholspur. Das verdankt Volkswagen dem Ende seines Patriarchen.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
Gefällt Ihnen der Artikel?
Das freut uns! Bitte unterstützen Sie uns, wenn Sie mehr solcher Artikel lesen möchten:
Blog