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16.06.2014
Das Saatgutdiktat

Wer unser Saatgut kontrolliert, der hat die Macht unsere Ernährung zu kontrollieren.
Das Freihandelsabkommen mit den USA wurde den kolumbianischen Kleinbauern zum Verhängnis. Sie wurden dem Saatgutkartell ausgeliefert. In Europa ist die Saatgutverordnung in letzter Sekunde verhindert worden.
von Raoul Sylvester Kirschbichler
In Kolumbien gibt es einen Krieg, über den die Medien nicht berichten. Fernsehen, Radio und Presse werden entweder von der Organización Ardila Lülle kontrolliert, oder gehören der Familie Santo Domingo. Sie entscheiden gemeinsam mit der kolumbianischen Regierung, über welche Ereignisse die Bevölkerung informiert wird. Die Themen Saatgut und Gentechnik gehörten jahrelang nicht dazu.
Bis vor wenigen Monaten gab es in der 6 Millionen Metropole Bogota kaum jemanden, der bereits von genmanipuliertem Saatgut gehört hatte, obwohl es in Kolumbien zur Aussaat freigegeben wurde und mittlerweile auf 80.000 Hektar angebaut wird. Die Bauern haben das Recht auf Wiederaussaat ihrer eigenen Samen vor vier Jahren verloren. Nicht zertifizierte Samen zu besitzen ist mittlerweile strafbar. Betroffenen Bauern wird der Prozess gemacht, es drohen ihnen in Kolumbien Geld- oder Haftstrafen bis zu acht Jahren. Zwischen 2010 und 2011 wurden 1.167.225 Kilogramm Saatgut, in erster Linie Reis und Mais, Weizen und Kartoffel, im Auftrag der kolumbianischen Regierung beschlagnahmt oder vernichtet.
Genau genommen führt die Regierung einen schmutzigen und brutalen Krieg gegen von Bauern selbst gezüchtete Samen. Seit die Verordnung 970 im Jahr 2010 in Kraft trat, darf nur noch Saatgut verwendet werden, das bei der Landwirtschafts- und Viehzuchtbehörde (ICA) registriert ist. Alle anderen nicht zertifizierten Pflanzensorten wurden verboten.
Aus der Sicht des kolumbianischen Netzwerks der „Hüter des Lebenssamens“ (La Red de Guardianes de Semillas de Vida), kurz RGSV, ist diese strenge Regelung auf die Lobbyarbeit großer Unternehmen zurückzuführen. Im Hintergrund stehen gigantische Konzerne wie Monsanto, Syngenta und Dupont. Nur ihnen ist es erlaubt Saatgut auch zu zertifizieren, das Homogenität, Beständigkeit und Unterscheidbarkeit aufweist. Kriterien, die das selbst gezüchtete Saatgut der Kleinbauern nie erfüllen kann. Somit haben sie auch keinen Zugang zum Markt.
Zudem: Die 47-Seiten starke Verordnung 970 ist so komplex und kompliziert formuliert, dass sie selbst für Juristen eine große Herausforderung darstellt, für Kleinbauern zumeist unverständlich bleibt. Dahinter steckt ein alt bekanntes Problem der kolumbianischen Gesetzgebung: Gesetze werden hinter dem Rücken der Bevölkerung verabschiedet, ohne erklärt oder verständlich formuliert zu werden.
Das Unverständnis der Bauern gipfelte in der Frage, warum das, was sie ihr ganzes Leben lang getan haben, nämlich traditionelles Saatgut zu verwenden, plötzlich bestraft wird. Haben sie jahrelang etwas Verbotenes getan, ohne es zu wissen?
Erst als ein gleichnamiger Dokumentarfilm „970“ im Internet zirkulierte, erreichten die Themen „Saatgut“ und „Gentechnik“ auch die breite Öffentlichkeit in Kolumbien. Allen wurde klar, dass hinter dem Saagutdiktat einzig und allein die Profitgier der Großkonzerne steht, deren Ziel eine patentierte Monopolstellung ist: Selbstgezüchtete Samen sollen durch genmanipulierte ersetzt werden. Dass durch solche Maßnahmen gleichzeitig die Existenz vieler Kleinbauern ernsthaft gefährdet ist, interessierte niemanden. Auch die Gesundheitsrisiken wurden lange Zeit gekonnt totgeschwiegen. Die Saatgutindustrie hat der Sortenvielfalt, seltenen Obst-, Gemüse- und Getreidesorten den Kampf angesagt.
Doch es formierte sich Widerstand, nicht nur gegen das Saagutdiktat der Großkonzerne. Zunächst streikten im März 2013 die Kaffeebauern, doch bereits wenige Wochen später kam es zu einem landesweiten Bauernstreik, aus dem sehr schnell eine nationale Protestbewegung entstand. In Bogota demonstrierten Gewerkschaften und Studenten für eine umfassende Reform des Gesundheits- und Erziehungswesens. Und je länger die Demonstrationen und Streiks dauerten, desto mehr Menschen beteiligten sich an den Massenkundgebungen, organisiert und angetrieben durch die sozialen Netzwerke und eine große Unzufriedenheit, die sich über Jahre aufgestaut hatte.
Um wieder Herr der Lage zu werden, befehligte Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos zusätzlich 50.000 Soldaten in die Hauptstadt Bogota (Santos war Anfang der 90-iger Jahre Hauptgeschäftsführer der kolumbianischen Kaffee-Delegation bei der International Coffee Organization in London).
Nach drei Wochen, im September 2013, wurde die Verordnung 970 der Landwirtschafts- und Viehzuchtbehörde (ICA) suspendiert. Die Regierung versuchte, die Landwirte mit einem neuen Gesetzesentwurf zu besänftigen. Doch das vorgelegte Dokument war gar nicht so neu, denn es wurde schon vor dem Bauernstreik verfasst. Der größte Unterschied zur Verordnung 970 ist ein zusätzlicher Paragraph, der besagt:
„Saatgut von lokalen Sorten, das nicht für die Kommerzialisierung bestimmt ist, wird von der Anwendung der Verordnung ausgeschlossen“.
So soll verhindert werden, dass die Kleinbauern zu einer Konkurrenz für die drei großen Saatgutkonzerne werden. Niemand soll und darf ihren Umsatz gefährden. Es sind jene drei großen Konzerne, die das Saatgut auf dem Weltmarkt kontrollieren und eine einzigartige Monopolstellung anstreben.
Ein neues Saatgutgesetz, das sich nur in wenigen Punkten von dem Regelwerk in Kolumbien unterscheidet, war auch für Europa geplant. Kleinbäuerliche und biologische Landwirte, aber auch alle Organisationen, die sich für die Erhaltung der Vielfalt durch die Vermehrung und Verbreitung traditioneller Sorten einsetzen, drohten auf der Strecke zu bleiben. Erst in allerletzter Sekunde siegte die Vernunft:
Nachdem sich die Kommission geweigert hatte, ihren Vorschlag zurückzuziehen und einen verbesserten Entwurf vorzulegen, hat das EU-Parlament die erste Lesung abgeschlossen. Der Kommissionsvorschlag wurde mit 650 Stimmen abgelehnt, bei 15 Gegenstimmen, ohne Enthaltungen. Möchte die EU-Kommission weiterhin daran festhalten, die zwölf EU-Richtlinien durch eine Saatgutverordnung zu ersetzen, muss sie einen völlig neuen Vorschlag präsentieren.
Wer unser Saatgut kontrolliert, der hat die Macht unsere Ernährung zu kontrollieren.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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