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Der Billionenpoker

Billionenpoker

Die Europäische Zentralbank spielt ihren letzten Trumpf aus: Sie wird Staatsanleihen um 1,14 Billionen Euro (1140 Mrd.) aufkaufen – ein kluger Schachzug oder ein letzter Verzweiflungsakt?

von Raoul Sylvester Kirschbichler

Wie kann man sich 1 Billion Euro (1,000.000.000.000) vorstellen? Es handelt sich hierbei um 20 Milliarden 50-Euro-Scheine. Wer sie der Länge nach hintereinander auflegt, der kann dieses Geldschein-Band rund 70 Mal um die Erde wickeln oder vier Mal zum Mond und zurück spannen. Ein 50-Euro-Geldschein-Teppich würde die Größe von Frankfurt haben.

Natürlich kann man um eine Billion Euro auch 550 Millionen Goldbarren (zu 50 Gramm) oder 50 Millionen Mittelklasseautos kaufen. Oder: Wer möchte, der kann auch alle 30, im deutschen Leitindex notierten Börsenkonzerne Deutschlands kaufen. Schließlich entspricht eine Billion Euro fast 11 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone oder 3400 Euro pro Einwohner jedes Eurolandes.

Kurzum: Es geht um unvorstellbar viel Geld, das die Europäische Zentralbank für den Ankauf von Staatsanleihen verwenden möchte. Ein letzter Verzweiflungsakt? Alle anderen Maßnahmen haben kaum Wirkung gezeigt. Die Eurozone kommt nicht in Schwung – für 2015 hat der Internationale Währungsfonds ein schwaches Wachstum von rund 1,2 Prozent prognostiziert. Die Volkswirtschaften können sich aus dem Würgegriff der Wirtschaftskrise nicht wirklich befreien. Hauptverantwortlich dafür ist unter anderem die schwache Kreditvergabe der Banken. Deswegen verlangt die Europäische Zentralbank Strafzinsen von Banken, die Geld bei ihr parken und überschwemmt Banken zudem mit billigem Geld.

Vor allem das klassische Instrument der Zinspolitik ist an seine Grenzen gestoßen: Der Leitzins liegt mittlerweile bei 0,05 Prozent, der für die Banken wichtige Einlagen-Zins sogar bei minus 0,2 Prozent, also im negativen Bereich. Über den Zins als ´qualitatives Instrument´ lässt sich nichts mehr ausrichten, deshalb muss die EZB nun zum Mittel der quantitativen Lockerung greifen. Das letzte erprobte Mittel ist – Quantative Easing (QE, Quantitative Lockerung). Sie folgt damit dem Beispiel anderer Notenbanken an der Nullzinsgrenze: Der US-Notenbank Federal Reserve, der Bank of England und der Bank of Japan.

Während die britische und die US-Wirtschaft tatsächlich wieder in Fahrt gekommen sind und diese Notenbanken auch schon wieder aus ihren Anleihen-Kaufprogrammen aussteigen, war diese Maßnahme in Japan bisher nicht erfolgreich. Der große Unterschied zur Eurozone: Sowohl in den USA als auch in Großbritannien hat eine Regierung die Entscheidungen für nur eine Volkswirtschaft zu treffen. Im Euroraum versucht die Europäische Zentralbank, alle 19 Volkswirtschaften der Währungsunion gleichzeitig zu koordinieren. Auch in der Praxis lassen sich die Staatsanleihen-Käufe der EZB mit jenen in den USA nicht vergleichen: Während die US-Notenbank Fed nur US-Staatsanleihen kauft, nimmt die EZB Anleihen unterschiedlicher Länder auf ihre Bilanz. Sie ebnet damit Zinsunterschiede ein, verzerrt also die Risikosignale für diese Länder.

Die amerikanische und die europäische Geldpolitik werden sich in den nächsten Monaten weiter voneinander entfernen: Während die EZB noch mehr Geld in den Markt pumpt, will die US-Fed die Zügel bald anziehen. Eine globale Divergenz scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Allerdings: Steigen in den USA die Zinsen, sinkt zunächst einmal der Wert von vielen festverzinslichen Wertpapieren. Im Handumdrehen wächst wieder die Sorge um die kränkelnden Banken mitsamt ihren Bilanzen

QE

 Die Lockerung der Geldpolitik, kurz QE (Quantitative Easing), ist – nach Nullzinsen, Strafzinsen bzw. Geldschwemme – mit Sicherheit die allerletzte Waffe, die die Europäische Zentralbank auffahren kann. Experten nennen den beschlossenen Ankauf von Staatsanleihen im großen Stil auch die „Atomwaffe der Geldpolitik“. Dabei ist es kein gänzlich neuer Ansatz: Die Europäische Zentralbank bereits in der Vergangenheit (von 2010 bis 2012) sporadisch Staatsanleihen gekauft, um die Finanzmärkte zu beruhigen und Banken zu unterstützen.

Der Unterschied zu damals: Nun möchte die Notenbank zum ersten Mal in der Geschichte des Euro systematisch Schuldtitel der einzelnen Euro-Länder kaufen. Das Volumen soll bis September 2016 (es kann aber auch verlängert werden) monatlich 60 Milliarden Euro umfassen. Primär sollen Staatsanleihen mit Laufzeiten zwischen zwei und 30 Jahren mit einem vorläufigen Gesamtvolumen von 1,14 Billionen Euro angekauft werden. Im Zweifelsfall werden auch Papiere mit negativen Zinsen aufgekauft, wie das etwa bei zweijährigen deutschen Titeln der Fall ist. Doch es muss ernsthaft bezweifelt werden, dass das Risiko, das die Europäische Zentralbank eingeht, für Europa und die Eurozone kalkulierbar und überschaubar ist, selbst wenn das Kalkül in der Theorie logisch erscheint:

Kauft die EZB am Sekundärmarkt Staatsanleihen, gelangen die verkaufenden Banken in den Besitz von neuem EZB-Geld und müssen sich um den gleichen Betrag weniger mit Zentralbankgeld versorgen. Den Banken eröffnet sich neuer Spielraum, um Kredite an Unternehmen und Verbraucher weiterzugeben. So soll der Konjunkturmotor endlich wieder anspringen.

Unter dem Strich handelt es sich aber um eine indirekte Staatsfinanzierung über die Notenpresse. Das ist der Europäischen Zentralbank grundsätzlich verboten worden. Auch deshalb, weil dadurch ein Inflationsschub ausgelöst werden kann. Ist der Preis der Euro-Rettung eine drohende Hyperinflation? Bei der EZB sieht man diese Gefahr nicht. Inflation könne man recht effizient bekämpfen, heißt es.

 Das Kernproblem

Allerdings: Die grundlegenden Probleme der Eurozone sind mit dem gigantischen Staatsanleihen-Ankauf nicht gelöst: Notwendige Strukturreformen in keiner Weise garantiert. Ganz im Gegenteil: Nun können die Staaten darauf bauen, dass die EZB die Zinsen durch den Erwerb von Staatsanleihen deckelt. So werden Regierungen verleitet, eher neue Schulden zu machen, als notwendige Reformen in Angriff zu nehmen. Staaten, die kurzfristig aus ihrer Reformmüdigkeit erwacht sind, werden wieder in Tiefschlaf verfallen. Das ist sicher nicht das Ziel der EZB-Räte rund um Mario Draghi. Der Kauf von Staatsanleihen hat aber diesen Effekt, weil er die Schuldzinsen für diese Länder niedrig hält.

Letztendlich wächst die Neuverschuldung, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bleibt auf der Strecke. Das ist gefährlicher als ein GrExit. Denn genau genommen ist der Reformstau in Frankreich und Italien für die Währungsunion langfristig bedrohlicher als die Tatsache, dass Griechenland seine Schulden nie mehr zurückzahlen kann.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die Milliardenschwemme primär die Kreditvergabe erhöhen wird oder, ob nicht neue, gefährliche Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten entstehen werden. Irgendwo wird das viele Geld schließlich investiert werden. Das ist und bleibt das Risiko, solange die Europäische Zentralbank auf eine ambitionierte Investitionsoffensive setzt, die die rigorose Sparpolitik ein wenig in den Hintergrund drängt, damit in Europa wieder konsumiert und investiert wird. Erst dann entstehen Arbeitsplätze, erst dann steigt die Nachfrage, erst dann sinkt auch wirklich die Deflationsgefahr.

Schwach, schwächer, Euro

Der Euro schwächelt bereits seit mehreren Monaten, weil die Pläne der EZB schon länger bekannt sind. Und er wird weiterhin an Wert einbüßen, wenn das Ankaufsprogramm der Europäischen Zentralbank wirklich umgesetzt wird. Ein schwacher Euro hilft Europas Exporten, weil Autos oder Maschinen auf den Weltmärkten billiger werden. Das ist besonders im Dollarraum wichtig und wirkt tendenziell konjunkturstärkend. Gleichzeitig werden Importe teurer, was den Preisauftrieb stärkt und die Inflation verstärkt, die weit unter dem Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent liegt. Ziel der Europäischen Zentralbank ist eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung. Sie möchte der gegenwärtigen Entwicklung durch den Ankauf von Staatsanleihen entgegen wirken. Schließlich droht Europa eine Deflation:

Laut Eurostat in Luxemburg ist die Inflation im Dezember 2014 erstmals seit fünf Jahren unter null gesunken. Auch die Inflations-Prognose der EZB wurde für 2015 von 1,0 auf 0,3 und für 2016 von 1,4 auf 1,1 Prozent gesenkt. Für 2017 erwarten die befragten Ökonomen (Professional Forecasters) einen Verbraucherpreisauftrieb von 1,5 Prozent. Es ist und bleibt unumstritten: Die Eurozone steckt fest in einer lang anhaltenden Phase niedriger Teuerung.

Die größte Angst der Europäischen Union ist, dass die Preise für viele Produkte gleichzeitig sinken. Dann würden die Konsumenten schon heute weniger kaufen, weil sie hoffen, dass morgen oder übermorgen alles noch billiger wird. Die Investitionen der Unternehmer gehen sofort zurück, weil die Nachfrage sinkt. Die Folge ist ein Abwärtstrend mitsamt einer unvorstellbaren Massenarbeitslosigkeit, vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren.

Die EZB musste ihren letzten Trumpf ausspielen. Sie beeinflusst damit die relativen Zinsen (Spreads) der einzelnen Länder und nimmt somit Einfluss auf die Fiskalpolitik. Staatsanleihen-Käufe sind aber kein Allheilmittel gegen die Wirtschaftsflaute, sie ändern wenig am schwachen Wachstum, sie treiben die Vermögenspreise. Das hilft also nicht der Konjunktur, sondern über niedrige Zinsen den Finanzministern der hoch verschuldeten Euro-Länder und deren Banken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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