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Die Krise lebt immer noch

Die Krise lebt immer noch

Die Wirtschaftskrise ist noch lange nicht vorbei. Frankreich und Italien sind die großen Sorgenkinder. Ist Europas Geldpolitik am Ende ihrer Instrumente angekommen?

von Raoul Sylvester Kirschbichler

Der 20-Euro-Schein, gefaltet zu einem sinkenden Papierschiffchen, in dem Merkel, Renzi, vor allem aber Hollande strammstehen, furchtlos sich ihrem Schicksal stellen, während ein völlig überforderter Mario Draghi verzweifelt Wasser aus dem hinteren Teil Bootes schöpft. Viel treffender hätte eine britische Wochenzeitung Europas Schicksal momentan nicht darstellen können.

Das Euro-Schiff droht erneut zu sinken. Die Hoffnung, dass zumindest das Schlimmste überstanden ist, war groß, die Enttäuschung über die aktuellen Wirtschaftsdaten ist noch größer. Derzeit herrscht leicht durchschaubarer Zweckoptimismus, aber die Angst, dass die Krise bereits wieder auf dem Weg zurück nach Europa ist, und nun auch Deutschland in den Abwärtssog gerät, lässt sich kaum noch überspielen.

Europas Wirtschaftsdaten sind schlechter als erwartet: Daran sind aber nicht unsere alten Sorgenkinder Spanien und Portugal, oder Griechenland und Irland schuld. Die französische Volkswirtschaft tritt auf der Stelle, Italien steckt erneut in der Rezession fest und das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal geschrumpft. Auch in Österreich werden die Wachstumsprognosen alle paar Wochen nach unten revidiert.

Deutschland ist konjunkturell nicht unbesiegbar. Noch wird die derzeitige Exportschwäche von der guten Verbraucherstimmung und der relativ stabilen Arbeitsmarktsituation ausgeglichen. Ein Blick in die Kristallkugel der Wirtschaftsexperten zeigt aber ein beängstigendes Bild: In ein bis zwei Jahren werden sich die alternde Bevölkerung und die wenig wachstumsfreundliche Politik der letzten Jahre eindeutig bemerkbar machen, noch stärker auf das geringe Wachstum drücken. Für 2014 wird noch ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent für Deutschland prognostiziert.

Das Schwergewicht Frankreich kommt nicht und nicht vom Fleck. Verharrt bewegungslos und reformresistent, wie Hollande im sinkenden Euro-Schiffchen. In Frankreich ist weit und breit kein Aufbruch in Sicht. Wer die Sparzwänge der Grande Nation dafür verantwortlich machen möchte, liegt falsch. Frankreich hat letztendlich viel weniger gespart, als wir angenommen haben. Wo die Einsicht fehlt, einsparen zu müssen, dort wird auch kein Reformwille Fuß fassen. Einflussreiche Minister jammern öffentlich über jedes Reförmchen, das Hollande ins Auge fasst. Frankreich reformiert nicht, bleibt uneinsichtig. Niemand hat den Ernst der Lage in Frankreich erkannt. Die Regierungsumbildung war die logische Konsequenz: Der Hollande-Vertraute Emmanuel Macron, bis jetzt Vizegeneralsekretär im Elysée, ist Frankreichs neuer Wirtschaftsminister. Er folgt auf den Parteilinken Arnaud Montebourg, der mit seiner Kritik am Sparkurs die Regierungskrise ausgelöst hatte.

Italiens Premier Matteo Renzi hat zumindest bereits verlautbart, dass ein neuer Wirtschaftskurs notwendig sein wird, dass die moderne Gesellschaft Italiens, seine Unternehmer und seine innovativen Kräfte künftig mehr Wettbewerb, freiere Märkte und viel mehr Leistungsbereitschaft benötigen. Sein angekündigter Wandel muss gelingen, denn die drittgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union steht mit dem Rücken zur Wand, sie wird seit sieben Jahren von Rezession und Stagnation beherrscht.

Wie kann Wachstum stimuliert werden und wie viel werden diese Maßnahmen kosten? Bis zu 300 Milliarden Euro sollen in den nächsten 3 Jahren in die Realökonomie, in sogenannte neue nachhaltige und arbeitsplatzfördernde Projekte fließen. Darüber ist sich das Team rund um Kommissionspräsident Jean Claude Juncker einig. Der Europäische Rat hat die sofortige Mobilisierung privater und öffentlicher Finanzierungsquellen vorgeschlagen, ist aber dringend notwendige Details ebenfalls schuldig geblieben. Die EU-Finanzminister haben eine Taskforce beschlossen, die bis Dezember dieses Jahres Investitionsprojekte für ein verstärktes Wachstum evaluieren soll, auch „Ideen für neue Finanzierungsquellen“ unter tatkräftiger Mithilfe der EIB (Europäische Investitionsbank) sollen eingebracht werden.

Erinnern wir uns zurück: Mitte 2012 wurde das EIB-Kapital bereits um zehn Milliarden Euro erhöht, sodass die EIB ihre Kreditvergabe wesentlich ausweiten konnte. Ihr Kreditvergabevolumen im EU-Raum erhöhte sich 2013 um fast 20 Milliarden Euro. Die Kreditvergabe an kleine und mittelgroße Unternehmen verdoppelte sich nahezu. Nun ist zu erwarten, dass das Kreditvergabevolumen der EIB auf insgesamt 160 Milliarden Euro aufgestockt wird. Diese zusätzlichen Kredite kämen hauptsächlich, aber nicht ausschließlich den von der Krise besonders betroffenen Ländern zugute. Dahinter steckt die Hoffnung, dass vom Wachstum der Peripherieländer alle EU-Staaten profitieren. Es klingt – wie so viele andere Maßnahmen – nach einem letzten Verzweiflungsakt.

Wann immer sich in den letzten Jahren Ratlosigkeit breitgemacht hat, ist die Europäische Zentralbank mit Super-Mario Drahgi eingesprungen. Allerdings bewegen sich die Leitzinsen geringfügig oberhalb der Nulllinie, die Banken können sich kaum noch retten vor billigen Krediten der Notenbank. Trotzdem bekommen Unternehmen in manchen Ländern der Währungsunion kaum Darlehen. Zudem sind die Inflationsraten so mickrig, dass die Gefahr einer Deflation immer näher rückt. Ist die europäische Geldpolitik tatsächlich am Ende ihrer Instrumente angekommen?

Der Europäischen Zentralbank sind tatsächlich die Hände gebunden, sollte die Konjunktur tatsächlich einbrechen und die Inflation weiter absinken. Die EZB könnte den Banken noch Kreditpakete abkaufen bzw. im großen Stil Staatsanleihen erwerben – doch das würde die EU-Verträge infrage stellen. Beide Überlegungen sind eher Vorboten der europäischen Ratlosigkeit.

Frankreich und Italien beginnen bereits am Stabilitätspakt zu rütteln bzw. hoffen, dass sie zumindest die Spielräume innerhalb des Paktes nützen können: Frankreich möchte einfach mehr Zeit bekommen, um seine Budgetziele erreichen zu können. Doch eine Verlängerung hat es bereits gegeben, Reformvorhaben sind weiterhin ausgeblieben.

Genau betrachtet wird das Instrument ‚Stabilitätspakt‘ schrittweise entzaubert, weil unter den großen Euro-Ländern nur Deutschland (noch) finanzielle Bewegungsfreiheit besitzt. Doch genau diesen Spielraum werden Schäuble & Co. noch nicht nützen, weil die deutsche Bundesregierung auf einen ausgeglichenen Etat fixiert ist; oder, weil die deutsche Wirtschaft ihren Freiraum erst dann nützen wird (müssen), wenn es hoffnungslos in den Abwärtssog gezogen wird. In diesem Fall drohen Europa Stagnation und Deflation.

Ob dann endlich die Zeit für einen echten kulturellen Wandel gekommen ist? Das Bild vom Unternehmertum muss sich grundlegend verändern. Die Gründung und Führung eines Unternehmens sollte als etwas betrachtet werden, das im Prinzip jeder kann. Unternehmen schaffen zudem mehr nachhaltige Arbeitsplätze als Konjunkturprogramme. Lediglich 37 % der befragten EuropäerInnen geben an, dass sie Selbstständigkeit einem Angestelltenverhältnis vorziehen würden – gegenüber 51 % in den Vereinigten Staaten und 56 % in China. Dieser Prozentsatz nimmt in Europa sogar ab.

Der ehemalige EU-Kommissar Antonio Tajani, der nun zum Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt wurde, formuliert seine Hoffnung noch eindeutiger:

„Mehr Unternehmen bedeuten zusätzliche Arbeitsplätze, mehr Innovation und höhere Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmer zu werden und einen Traum zu verwirklichen – das erfordert hohe Risikobereitschaft und kostet viel Mühe. Unternehmer sind die Helden unserer Zeit. Unternehmergeist ist in der Wirtschaftsgeschichte auch die stärkste Triebfeder für Wirtschaftswachstum. Wenn es uns gelingt, das unternehmerische Potenzial Europas freizusetzen, dann können wir wieder Wachstum nach Europa bringen.“

Post Scriptum:

Niemand bestreitet, dass möglichst alle Menschen eine Beschäftigung haben sollen, während es als weitaus weniger selbstverständlich gilt, dass Arbeitsuchende sich ihren eigenen Arbeitsplatz schaffen können, anstatt von jemandem angestellt zu werden.

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Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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