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Ein Ölgigant steht vor dem Bankrott

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Ein Ölgigant steht vor dem Bankrott

Der niedrige Ölpreis verschärft die Wirtschaftskrise in Venezuela. Das erdölreichste Land steht vor dem Bankrott und am Rande eines Bürgerkriegs.
von Raoul Sylvester Kirschbichler

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder eine milliardenschwere Anleihe fällig ist. Dabei verfügt Venezuela mit 300 Milliarden Barrel (zu je 159 Liter) über die größten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt. Saudi-Arabien besitzt noch 265 Milliarden Barrel Rohöl. Venezuela müsste im Erdölreichtum schwimmen, positiv bilanzieren und sorgenfrei in die Zukunft blicken können. Doch die Nachwehen der Chavez-Ära sind weder leicht, noch schnell in den Griff zu bekommen – es gibt kein anderes Land, das so weit unter seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten bleibt. Genau genommen steht Venezuela kurz vor dem Bankrott.

2015 werden Zahlungen von insgesamt 30 Mrd. Dollar fällig, bereits im März 1 Mrd. US-Dollar (etwa 800 Mio. Euro). Doch die Staatskasse ist fast leer: Mit 21,5 Milliarden Dollar sind die Deviseneinnahmen auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren, maximal 40 Prozent aller Verbindlichkeiten können in den kommenden fünf Jahren beglichen werden. Woher soll Präsident Nicolás Maduro das Geld nehmen, ist die vordringlichste Frage; wie es so weit kommen konnte, weiß fast jeder, nur spricht niemand darüber.

Venezuela kann – nach Berechnungen der Credit Suisse – seinen Zahlungsverpflichtungen nur dann nachkommen, wenn der Rohölpreis bei rund 97 US-Dollar pro Barrel liegt. Mittlerweile ist der Preis für ein Barrel aber sogar unter die 50-Dollar-Grenze gefallen. Dabei sollten die Exporterlöse zwei Drittel der Staatseinnahmen Venezuelas und mehr als 90 Prozent der Deviseneinnahmen sichern. Der fallende Ölpreis setzt aber nicht nur Venezuela zu, auch Russland und der Rubel geraten mehr und mehr unter Druck. Im Nahen Osten sind vor allem Länder mit niedrigen Devisenreserven betroffen – in erster Linie Oman und Bahrain. In vielen Erdöl fördernden Ländern sind die Börsen in den letzten Monaten regelrecht eingebrochen: In Saudi-Arabien ist die Börse seit September um 30 Prozentpunkte zurückgegangen, in Dubai sogar um 35 Prozent, in Qatar und in Nigeria um 23 bzw. 27 Prozentpunkte.

0,01 Euro pro Liter

Hauptproblem in Venezuela ist die viel zu geringe Fördermenge von lediglich 2,46 Millionen Barrel pro Tag. Zudem werden diverse Kredite teilweise in Erdöl abgezahlt: Peking bekommt für einen Vier-Milliardenkredit täglich 250.000 Barrel. Die gleiche Menge wird jeden Tag zu außergewöhnlich günstigen Konditionen an befreundete Staaten wie Kuba, Ecuador, Bolivien und Nicaragua

verkauft. Als könnte Erdöl zu Vorzugskonditionen dem realen Sozialismus in Südamerika zu einer ungeahnten Wiedergeburt verhelfen. Die Hälfte der täglich geförderten Erdölmenge wird weit unter dem üblichen Marktpreis an die heimische Bevölkerung weitergegeben. Das garantiert den regierenden Sozialisten (noch) die politische Unterstützung der ärmsten Schichten. Benzin kostet an den staatlichen Tankstellen lediglich 0,01 Euro pro Liter. Um den Staatsbankrott vorläufig abzuwenden, plant die Regierung nun die Treibstoffpreise um das 15- bis 25-Fache zu erhöhen. Die hohe Inflation – derzeit über 60 Prozent – wird so weiter angeheizt. Zudem ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen.

Wer in den Straßen von Caracas oder Maracaibo lautstark gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Präsident Nicolás Maduro protestiert, dem begegnet der Staat mit eiserner Faust. Die Zahl der Demonstranten wächst monatlich: Zehntausende protestieren regelmäßig gegen die verheerende Versorgungslage im Land – es fehlt zeitweise sogar an Grundnahrungsmitteln. Doch das Regime hört nicht mehr zu, es schickt Polizisten, Paramilitärs und Soldaten.

Venezuela steht am Rande eines Bürgerkriegs. Angeblich sollen bereits 50.000 bewaffnete Colectivos* in den Bergen in Stellung gebracht worden sein. Militante linke Blätter drucken Aufrufe zu einem „Krieg, der einfach notwendig ist“, der aber nicht von Hass getragen sein soll. Dabei geht es derzeit noch relativ friedlich zu. Erinnern wir uns zurück: 1989, also 10 Jahre bevor Hugo Chávez an die Macht kam, demonstrierten die Menschen gegen eine Erhöhung der Nahverkehrspreise. Die brutale Niederschlagung der Proteste forderte damals 600 Menschenleben.

Vor wenigen Monaten sind zwei oppositionelle Bürgermeister zu Haftstrafen verurteilt worden, weil sie aus Sicht der sozialistischen Regierung nicht entschlossen genug gegen die Demonstranten vorgegangen sind. Die Botschaft aus dem Präsidentenpalast ist unmissverständlich: Jeder, der in irgendeiner Form die Proteste unterstützt oder indirekt billigt, wird künftig vor Gericht gestellt. Es geht den Sozialisten mittlerweile nur noch um Machterhalt in einem Land, das sie in den letzten beiden Jahrzehnten systematisch heruntergewirtschaftet haben.

Der Anfang vom Ende

Der Niedergang der Erdölindustrie ist vor allem mit dem Namen und der vierzehnjährigen Amtszeit von Hugo Chávez verbunden. Er hatte die Privatwirtschaft abgewürgt: Venezuela sollte als glänzendes Paradebeispiel des Sozialismus des 21. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher eingehen. Chávez hoffte, dass er mitsamt seinem Staatsmodell in den linken Salons Europas gefeiert wird. Dabei sah er sich selbst als Speerspitze gegen die Vereinigten Staaten, gegen den Kapitalismus.

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* Colectivos:

The term colectivo or collective refers to a type of community organization in Venezuela that supports the Government of Venezuela and the United Socialist Party of Venezuela with their Bolivarian Revolution.

Noch zur Jahrtausendwende galt der Ölriese Petróleos de Venezuela (PDVSA) als einer der effizientesten und finanzstärksten Konzerne der Welt. 1998, im Jahr vor dem Amtsantritt des langjährigen Staatschefs Hugo Chávez, förderte das Land nach Angaben der Internationalen Energieagentur täglich 3,5 Millionen Barrel. Heute ist es rund ein Viertel weniger. Dabei ist die Ölförderung für das südamerikanische Land lebensnotwendig: Sie sichert 80 Prozent der Exporterlöse und mehr als zwei Drittel der Staatseinnahmen.

Chávez hat den größten Ölkonzern des Landes als politisches und propagandistisches Werkzeug benutzt. Er reduzierte die Investitionen der PDVSA und erhöhte gleichzeitig die Abgaben, die der Erdölgigant an den Staat zahlen musste, um so höhere Sozialausgaben finanzieren zu können. Heute rechnet die Regierung mit einem Aufstand der Ärmsten, sollten die chavistischen Sozialprogramme plötzlich gestrichen werden.

PDVSA konnte die wirtschaftlichen Sünden vorübergehend ausgleichen: Die Armutsquote sank von 49 Prozent im Jahr 2002 auf 29 Prozent im Jahr 2011, die Arbeitslosigkeit von 14,5 Prozent auf unter acht und die höhere Schulbildung erreicht nun 73,3 Prozent (früher 43 Prozent) der Bevölkerung. Doch um welchen Preis? Mehr als 100 Brände wüteten in der PDVS-Anlage, sie haben 81 Menschenleben gefordert und gewaltige Schäden zurückgelassen, die nur sehr mangelhaft repariert wurden. Schon wird gespottet, dass die einzige Instandhaltungsmaßnahme der PDVSA sei, alle Anlagen mit roter Farbe anzustreichen. Zudem hat der größte Erdölkonzern fast 40 Milliarden Dollar Schulden angehäuft und benötigt bis 2019 errechnete 257 Mrd. US-Dollar.

Die lautstarken Hasstiraden gegen gut bezahlte Manager bzw. gegen die ausbeuterischen Kapitalisten sind seit dem Tod von Hugo Chávez kaum leiser geworden. Dabei benötigt Venezuela dringend Facharbeiter. Schließlich sind die Ölfelder vor der Küste schwierig zu erschließen und zudem muss das Rohöl aufwendig raffiniert werden. Aber niemand möchte in eine der Großstädte übersiedeln. In der Hauptstadt stehen Ermordungen und Entführungen auf der Tagesordnung. Durchschnittlich 30 Menschen werden täglich umgebracht – Caracas ist die gefährlichste Stadt der Welt.

Bis vor einem halben Jahrhundert zählte Venezuela zu den größten und wichtigsten Erdölförderern der Welt. Mittlerweile rangiert das Land gerade noch auf dem 12. Platz, obwohl es über die weltweit größten Rohölreserven verfügt. Nun hat selbst die Regierung zugegeben, dass das Land in einer tiefen Rezession steckt. Laut der venezolanischen Zentralbank ist das Bruttoinlandsprodukt in den ersten beiden Quartalen 2014 um mehr als 4,8 Prozent geschrumpft und im Zeitraum von Juli bis September um 2,3 Prozent.

Kritisieren Oppositionspolitiker den Wirtschaftskurs der Regierung Maduro, werden sie von staatlichen Medien als Zionisten, Parasiten oder Nazis beschimpft. In den Augen der Staatspresse sind sie mit US-Agenten oder sexuell Verirrten gleichzustellen. Der Präsident, die Regierungspartei, ihr Staat und ihre geschaffene Nation sind sich sicher, dass die Opposition nie eine politische Führungsrolle übernehmen wird, weil die Armee mit ideologisch zuverlässigen Führungskräften besetzt wurde, die sich von bürgerlichen Machthabern nichts sagen lassen.

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Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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