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Eine Tradition der Innovation: Dokumentarfilm über Carl Menger erschient dieses Jahr!

CarlMenger 2

von Scott B. Nelson

Oft erfordert die Aufrechterhaltung einer Tradition sehr viel Innovation. Das gilt für die Österreichische Schule der Nationalökonomie genauso wie für jede andere ehrwürdige Tradition. Als Emil Kauder seine Geschichte der Tradition schrieb, stellte er Ludwig von Mises und die Praxeologie in den Mittelpunkt, was dazu führte, dass Mises‘ großer Zeitgenosse Joseph Schumpeter – dessen Platz in der österreichischen Tradition zugegebenermaßen immer umstritten war – sowie die nicht-marktwirtschaftlichen Werke von Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von Wieser ausgeblendet wurden. Die erste Version von Fritz Machlups Darstellung der Österreichischen Schule schloss auch Schumpeter und sogar Machlup selbst aus!

Das liegt zum Teil daran, dass die Mitglieder der Österreichischen Schule immer stolz auf ihre Meinungsverschiedenheiten und Gemeinsamkeiten waren; schließlich hat jedes Mitglied der Schule an die Wichtigkeit von Ideen, Debatten und unsere Fähigkeit zur Vernunft geglaubt (natürlich in Grenzen). Was die Tradition betrifft, so ist das vielleicht auch gut so, denn wie T. S. Eliot einmal bemerkte, „wenn die einzige Form der Tradition, des Weitergebens, darin bestünde, den Wegen der unmittelbaren Generation vor uns zu folgen, in einem blinden oder ängstlichen Festhalten an ihren Erfolgen, dann sollte von ‚Tradition‘ unbedingt abgeraten werden.“

In diesem Jahr jährt sich sowohl der Todestag des Begründers der Österreichischen Schule, Carl Menger, zum 100. Mal, als auch – und das ist von noch größerer Bedeutung – das Veröffentlichungsdatum seiner Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, dem Gründungsdokument unserer Tradition, zum 150. Mal. Es ist daher nur angemessen, dass wir Menger, durch einen neuen Blick auf sein Leben gedenken.

In diesem Jahr produziert das Hayek Institut in Zusammenarbeit mit Austrian Economics Center stmals eine Dokumentation über Leben, Werk und Vermächtnis von Carl Menger. Ein integraler Bestandteil dieser Dokumentation sind die Interviews, die wir mit führenden Experten aus Politik, Wirtschaft, Finanzen und Wissenschaft geführt haben. Sie erzählen nicht nur von Mengers Leben und Werk, sondern verweben seine Ideen auch mit ihren jeweils eigenen Arbeitsgebieten von heute. Das Ergebnis ist ein Dokumentarfilm über Carl Menger und seine Zeit, aber auch über unsere eigene Zeit, in der seine Stimme noch genauso deutlich erklingt wie vor über einem Jahrhundert.

Als Akademiker von höchstem Rang ist Menger verantwortlich für die Darlegung der Grenznutzentheorie (die unabhängig voneinander auch von Léon Walras und William Stanley Jevons beschrieben wurde), der subjektiven Werttheorie, des methodologischen Individualismus und dessen, was wir heute als Opportunitätskosten kennen. Vor allem aber gelang es Menger, auf der Grundlage seiner Analyse der Bedürfnisbefriedigung den Gebrauchswert, den Tauschwert, die Preise sowie die Entstehung und Entwicklung des Geldes zu erklären.

Wäre er nach der Veröffentlichung seiner Grundsätze – im jungen Alter von 31 Jahren(!) – gestorben, wäre sein Platz im Pantheon der ökonomischen Titanen bereits für alle Zeiten gesichert gewesen. Doch Menger sah, dass die Probleme der ökonomischen Theoriebildung seiner Zeit eng mit dem Problem der wissenschaftlichen Methode, wie sie von seinen Kollegen in Deutschland verstanden wurde, verbunden waren. Aus diesem Grund wandte er sich mit seinem anderen großen Werk Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Oekonomie insbesondere, dem Gebiet der Methodologie zu. Dieses Werk war die Eröffnungssalve in der Auseinandersetzung, die als Methodenstreit bekannt werden sollte, in der die jüngere Historische Schule der Nationalökonomie unter der Leitung von Gustav Schmoller gegen die aufstrebende Österreichische Schule unter der Leitung von Carl Menger antrat.

All dies ist hinlänglich bekannt, interessanter ist die Diskussion über die Person und ihr Vermächtnis. Menger konnte nicht wissen, was sein Vermächtnis sein würde, als er 1921 starb. Wie er sein Leben erlebte, ist anders, als wir es im Rückblick erleben. In diesem Sinne haben wir versucht, Menger in den Kontext seiner Zeit zurückzuversetzen, in eine Welt zwischen Aristokratie und Bourgeoisie. Wo das Ancien Régime in Frankreich unter der scharfen Klinge der Guillotine zusammenbrach, hielt das andere große europäische Reich, das Habsburgerreich, an seinem Vielvölkerreich fest – so lange es konnte. Anderen europäischen Ländern mag es damals als rückständig, als unterentwickelt erschienen sein. In dieser Atmosphäre sollten wir verstehen, dass es kaum ein Kompliment war, als die Deutsche Historische Schule Menger und seine Anhänger als die „Österreichische Schule“ bezeichnete. Österreich erlebte zu Mengers Zeiten einen rasanten Wandel, wirtschaftliches Wachstum, aber auch zunehmende soziale Unruhen. In dieser bewegten Zeit sehen wir Carl Menger von Wolfensgrün (den Titel legten er und seine Brüder ab) nicht nur an wissenschaftlichen Abhandlungen arbeiten, sondern auch den Kronprinzen Rudolf von Habsburg unterrichten, eine eigene Zeitung in der geschäftigen Welt des Wiener Journalismus gründen und sich eine Auszeit zum Fischen nehmen.

Leidenschaftlich, aber gelehrt, lehrend, aber stets lernbereit, mit Verbindungen zu den Mächtigen, aber immer auf der Seite des kleinen Mannes, war Menger so vielfältig und faszinierend wie sein Land. Seltsam also, dass er in seinem Heimatland nicht wesentlich bekannter ist. Ein Teil davon ist sicher auf die Abneigung Österreichs gegen die Ökonomen, die es selbst hervorgebracht hat, zurückzuführen. In einem Interview mit John Kenneth Galbraith, in dem der Ökonom Bruno Kreisky fragte, was die Ursache für Österreichs Nachkriegswachstum, die niedrige Arbeitslosigkeit, die stabilen Preise und die Wohlfahrtsausgaben sei, soll der Kanzler geantwortet haben: „Das liegt daran, dass wir dem Export so viel Beachtung beimessen. Wir haben ja sogar unsere Ökonomen exportiert!“

Aber Österreichs Verlust war ein Gewinn für die Welt. Was als eine Gruppe intelligenter Gleichgesinnter aus dem gesamten politischen Spektrum begann, die in den kleinen Gassen der Wiener Innenstadt bis in die frühen Morgenstunden diskutierten, tranken und sangen, zog über den Ärmelkanal und den Atlantik, um im Ausland in ganz anderen kulturellen Kontexten eine neue Heimat zu finden. Die Österreichische Schule der Nationalökonomie wandte sich im veränderten Klima des 20. Jahrhunderts, inmitten totalitärer Regime und des Kalten Krieges, von ökonomischen und methodologischen Abhandlungen zur politischen Philosophie. Sie erfand sich neu und blieb doch den Wurzeln treu, die Menger gepflanzt hatte. Mit Menger wurde eine Tradition geboren – eine Tradition der Innovation.

 

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Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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