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09.06.2014
EU-Russland: Vereint in Abhängigkeit

Europa braucht russisches Erdgas, Russland die Exporteinnahmen. Die wirtschaftliche Verflechtung entschärft die politische Debatte. Wer ist wirklich von den Russen abhängig?
von Raoul Sylvester Kirschbichler
Bereits vor einem Jahrzehnt warnten westliche Energieexperten, dass Russland künftig als Energiegroßmacht eine neue Rolle in der Weltpoltik spielen könnte, weil Russland zu den ressourcenreichsten Länder der Welt gehört. Wenn es um Erdöl, Kohle bzw. Erdgas geht, zählt Russland neben den USA auch zu den wichtigsten Förderländern. Doch wie groß ist die Gefahr, dass Russland sein Exportpotenzial auch als wirtschaftspolitisches Druckmittel einsetzt? Vor allem gegenüber den östlichen Mitgliedsländern der Europäischen Union, die sich in den letzten Jahren in eine gefährliche Energieabhängigkeit begeben haben.
Wer dieses Szenario zu Ende denkt, der kommt zu dem Schluss, dass Russland auf Grund seiner Vormachtstellung als Energielieferant primär die GUS-Staaten in der Hand hat. Ob daraus auch strategische Bündnisse mit China entstehen, die diesen Ländern eine größere Unabhängigkeit von Russland eröffnen, bleibt abzuwarten.
Wenn in der Europäischen Union ein Umdenken auch umgesetzt wird, dann müsste sich Brüssel stärker an die USA oder auch an Kanada binden. Doch das sind Langzeitperspektiven. Kurzfristig lassen sich keine Alternativen für russisches Gas auftreiben.
Rund 27 Prozent des EU-Gas-Bedarfs (das sind 125 Milliarden Kubikmeter Gas) kamen 2013 aus Russland. Zwar könnte Norwegen, der zweitgrößte Erdgaslieferant der Europäischen Union, einspringen, allerdings nur vorübergehend. Ähnlich wie Katar und Libyen – beide Länder könnten nur kurzfristig Flüssiggas nach Europa verschiffen.
Dreht Moskau über Nacht den Gashahn zu, dann wird Europa nichts anderes übrig bleiben, als seine Gasspeicher anzuzapfen. Deutschland kommt mit seinen Gasreserven mehrere Monate über die Runden. Doch die Slowakei und Griechenland wären schon nach wenigen Tagen unterversorgt. Die Hälfte des gesamten Erdgasbedarfs für die EU (und für die Türkei) wird über die Ukraine nach Europa transportiert.
Die Ukraine schuldet Gazprom 1,6 Milliarden Dollar. Vladimir Putin ist zu 4,5 Prozent an Gazprom beteiligt. Dreht der russische Präsident den Gashahn zu, wird die Ukraine die Transitleitungen nach Europa anzapfen, um vor allem die zweieinhalb Millionen Haushalte in der Hauptstadt Kiew weiterhin mit Gas versorgen zu können. Möchte Putin Brüssel nicht noch tiefer in den Konflikt hineinziehen, wird er versuchen, das Gas für die Europäische Union über die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee exportieren, die derzeit nicht ausgelastet ist, aber nur sehr beschränkte Kapazitäten hat. Ähnlich wenig Platz ist auch in den Gas-Pipelines durch Weißrussland und in der Schwarzmeer-Pipeline Blue Stream.
Wer die sogenannte europäische Gas-Abhängigkeitsdebatte ausgewogen führen möchte, der muss auch die andere Seite beleuchten. Sie relativiert die Problematik, der sich Europa angeblich gegenübersieht:
Erstens sind Lieferbeziehungen keine Einbahnstraße, sondern Abkommen, von denen beide Partner profitieren. Die russischen Unternehmen können ohne dem Absatzmarkt Europa kaum überleben.. Es steht hier auch die Glaubwürdigkeit des russischen Wirtschaftsstandortes auf dem Spiel. Das kann auch der Herr im Kreml nicht übersehen.
Zweiten: Erinnern wir uns zurück an den Gasstreit zum Jahresbeginn 2006 bzw. 2009. Die meisten Abnehmerländer für russisches Erdgas sind gleichzeitig auch Transitländer. Sie haben es in der Hand einen Gaskonflikt schnell auf multinationale Ebene zu heben, ob das den Russen recht ist oder nicht.
Zudem sind in das Gasgeschäft nicht nur das Förderland und die Endverbraucher involviert. Von Energieexporten profitieren viele Unternehmen: Private und staatliche Transport- und Pipelinegesellschaften, die weder in Russland noch auf dem europäischen Kontinent beheimatet sind. Dreht Putin das Gas ab, sind von den Folgen nicht nur die Gas importierenden Länder betroffen. Die Konsequenzen sind multinational und würden die russische Wirtschaft lang- und kurzfristig wie ein Bumerang treffen.
Dabei geht es Putin doch primär um den östlichen Teil der Ukraine, um jene Menschen, die überzeugt sind, dass ihre Zukunft nicht in der Europäischen Union liegen kann. Das ist in erster Linie die russische Minderheit, die von Kiew aus angeblich benachteiligt wird. Um sie zu schützen, wird Putin nicht am Gashahn herumdrehen, sondern versuchen ein Referendum wie auf der Krim zu erwirken.
Zudem: Der Kreml ist auf die Deviseneinnahmen angewiesen und sehr mächtige Akteure in der russischen Wirtschaft haben ein großes Interesse, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit der Europäischen Union reibungslos weitergeführt werden. Der Hauptabsatzmarkt für russisches Erdöl und Erdgas bleibt Europa. Bei Erdgas sind die Lieferbeziehungen durch das bestehende Pipelinenetz festgelegt, das in Richtung Westen bis zum Jahr 2020 von 200 Mrd.m³ auf 300 Mrd.m³ erweitert wird. Bis das Pipelinenetz durch Flüssiggastransporte ersetz werden kann, vergehen noch mehrere Jahrzehnte.
Für Energieexporte nach Japan bzw. China werden künftig die Energieressourcen der westsibirischen Felder herangezogen werden. Sobald dort regelmäßig gefördert wird, ergibt sich für Russland ein zusätzlicher Spielraum: Gasmengen können dann entweder nach Süd- und Ostasien oder nach Europa exportiert werden. Vor allem die Exportkapazitäten nach China werden in den nächsten Jahren ausgebaut. Ab 2020 werden die Gasexporte in den Fernen Osten insgesamt aber maximal 400 Mrd.m³ oder rund 20 Prozent der russischen Energieexporte ausmachen. Europa wird Hauptabnehmer bleiben, selbst dann, wenn die Russen verstärkt nach Kasachstan und Turkmenistan exportieren.
Politischen Druck kann Russland in erster Linie auf Moldawien, Armenien, Georgien und die baltischen Staaten ausüben. Sie sind vom Kreml wirklich abhängig. Georgien und Armenien sind deshalb auf der Suche nach neuen Energielieferanten. Erster Ansprechpartner ist der Iran. Das Baltikum könnte im Rahmen eines Verbundsystems auch durch noch zu bauende Öl- und Gaspipelines aus Polen versorgt werden. Als Selbstversorger gelten heute sowohl Aserbaidschan als auch Kasachstan und Usbekistan. Gemeinsam können diese drei Länder auch Kirgisistan und Tadschikistan versorgen.
Die europäische Abhängigkeit vom russischen Gas ist mit Sicherheit eine hochgespielte Problematik. Es gibt gegenseitige Abhängigkeiten. Wenn sich Europa, so wie es in EU-Dokumenten festgehalten ist, nach anderen Energielieferanten umsehen möchte, dann ist das durchaus verständlich. Doch diese Neuorientierung wird immer nur in Krisenzeiten vorangetrieben. Das schürt Misstrauen und vertieft den Konflikt rund um die Ukraine, der friedlich gelöst werden muss..
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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