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Europa stellt sich selbst ein Bein

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von Kai Weiß

Dass die EU in ihrer derzeitigen Form nicht unbedingt ein großer Förderer von freien Märkten, Unternehmertum und Innovation ist, sondern eher eine Maschine, welche eine Regulierung nach der anderen herausschießt, ist weitläufig bekannt. Man muss sich nur die 109 Regulierungen auf Kopfkissen, 50 auf Daunen- und Bettdecken und 31 Gesetze zu Zahnbürsten ansehen, auf die Brüssel gekommen ist. Oder die sehr detaillierte Erklärung, wie eine Banane aussehen und dass sie „frei von Missbildung und abnormalen Krümmungen“ sein muss (ja, das ist ein echtes Gesetz).

Womöglich gibt es all diese verrückten Geschichten, die regelmäßig in Zeitungen zur Belustigung (oder Frustration) der Bevölkerung auftauchen, nur, weil den Politikern und nichtgewählten Bürokraten der Europäischen Union langweilig ist, nicht wissend, was sie sonst mit ihrer Zeit anfangen sollen. Aber ein neuer Artikel bei AIER von Veronique de Rugy hat mich erneut daran erinnert, dass mehr hinter dem Weg steckt, den Europa eingeschlagen hat.

Es ist tatsächlich eine ganze Betrachtungsweise, die Brüssel (und nicht zu vergessen, nationale Regierungen) vor einer langen Zeit angenommen hat. Wie de Rugy freiheraus schreibt, sind „europäische Regierungen nichts als Protektionisten.“ Sie geht dabei auf die entscheidende Dichotomie ein, die Adam Thierer in seinem faszinierenden Buch Permissionless Innovation vorlegt.

Die Kernaussage ist die folgende: Es gibt zwei Wege, wie Regierungen auf innovative Versuche reagieren können. Sie können entweder dem Prozess der „erlaubnislosen Innovation“ (permissionless innovation) folgen, also wie Thierer schreibt, „der Idee, dass das Experimentieren mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen allgemein gesprochen von Grund auf erlaubt sein sollte.“ Falls irgendwelche Probleme entstehen sollten, können sie immer noch später behandelt werden. Aber Regierungen können auch dem „Vorbeugungsprinzip“ (precautionary principle) folgen, also „dem Glauben, dass neue Innovationen eingedämmt oder zurückgewiesen werden sollten, bis die Entwickler beweisen können, dass sie keinen Schaden verursachen.“

Während es bei der erlaubnislosen Innovation um „die Kreativität des menschlichen Geistes im Freien“ geht, nimmt das Vorbeugungsprinzip das weg, was unternehmerische Unterfangen in ihrer Essenz ausmachen: neue Möglichkeiten, die andere noch nicht entdeckt haben, zu identifizieren, Risiken einzugehen, in einem Trial-and-Error-Prozess teilzunehmen und entweder die Welt einen besseren Ort zu machen (und davon selbst zu profitieren) oder, ja, zu scheitern.

Die USA, meistens zumindest (und sehr wohl im Vergleich zu Europa), hat sich für eine Vorgehensweise näher an der erlaubnislosen Innovation entschieden, wo Risiken eingegangen werden dürfen und Scheitern toleriert, wenn nicht sogar als normal angesehen wird. In Europa währenddessen dominiert das Vorbeugungsprinzip. Zu einem gewissen Teil mag das eine kulturelle Komponente sein: Scheitern wird in vielen europäischen Kulturen negativ bewertet und ein spekulatives Unternehmen, welches schiefgeht, wird oft mit dem Versagen der ganzen Karriere gleichgesetzt – da aber nie zu Scheitern unmöglich ist, bedeutet das, dass Unternehmertum auf natürliche Weise ein kleinerer Faktor in Europa ist. Aber Regierungen – und besonders die EU – spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Es gibt viele, tatsächlich unzählige, Beispiele dafür. Da wäre der fortlaufende Krieg gegen Uber, Airbnb und alle Arten der Sharing Economy, welche Regierungen in Europa seit Jahren versucht haben, zu Tode zu regulieren. Oder die neuen Datenschutzrichtlinien, welche schon dazu geführt haben, dass Firmen Europa verlassen haben, da es unmöglich für sie war, diese einzuhalten ohne immense Summen an Geld dafür ausgeben zu müssen (eine detailliertere Analyse von mir zu diesem Desaster ist hier zu finden). Diese regulativen Spielereien können tragische Konsequenzen haben: die pseudowissenschaftliche, anti-GVO Einstellung ist nur ein Beispiel, welches, wie Marian Tupy schreibt, vielleicht sogar für Tode durch Verhungern in Afrika verantwortlich ist.

Es ist unter diesen Umständen wenig überraschend, dass es nicht Europa, der Kontinent, auf dem der freie Markt und die Industrialisierung starteten, ist, auf dem heute große Innovationen vorangetrieben werden. Viel ist geschrieben worden über die angeblichen Tech-Zentren in Stockholm und Berlin, aber nur wenig ist dabei rausgekommen mit dem schwedischen Spotify als die große Ausnahme – die jedoch auch zunehmend ihr Geschäft auf die USA verlagert. Stand von 2016, berichtet Thierer in seinem Buch, war „alleine der Marktwert von Airbnb größer als der Wert aller deutschen Technologieunternehmen mit über einer Milliarde Dollar Wert zusammengerechnet.“

Die Antwort der EU ist derweil verblüffend: Statt die engen Regeln etwas zu entspannen, hat sie ihre Versuche Innovationen zu unterdrücken noch gesteigert und in den letzten Jahren ihren Krieg gegen die Innovation weiter expandiert. Für ihre Erfolge werden Firmen – größtenteils aus den USA im Übrigen – hoch bestraft. Microsoft wurde dabei schon vier Mal getroffen, zuletzt 2013 mit 635 Millionen Dollar. Die Liste beinhaltet auch Intel (1,2 Milliarden Dollar, 2009), Facebook (122 Millionen Dollar, 2017), Amazon (293 Millionen Dollar, 2017) und Qualcomm (1,2 Milliarden Dollar, 2018).

Doch die schockierendsten Urteile waren sicherlich die Apple-Strafe von 14,6 Milliarden Dollar im Jahr 2016 (zugegeben dafür, dass sie in Irland „nicht ihren fairen Anteil gezahlt haben“, obwohl die Iren eigentlich dachten, dass das vollkommen in Ordnung war), eine 2,7 Milliarden Dollar Strafe für Google 2017 (während zum gleichen Zeitpunkt italienische Banken gerettet wurden) und erst letztes Monat eine neue Rekordstrafe, erneut für Google, in der beeindruckenden Höhe von fünf Milliarden Dollar.

Die EU ist oft schockiert darüber, wie Länder wie die USA Tech-Zentren wie Silicon Valley haben und all diese Innovationen, all diese Start-Ups und all den unternehmerischen Willen. Statt jene zu bestrafen, die sich trotz der vielen Hürden durchschlagen, sollte Europa jedoch ihre Perspektive ändern. Wie Thierer schreibt, „eine liberale Dosis der erlaubnislosen Innovation könnte die nächste große industrielle Revolution erzeugen, in dem unglaubliche Möglichkeiten entfesselt werden.“

Diese nächste industrielle Revolution kann auch auf europäischem Boden geschehen. Doch dafür müssen Regierungen den Markt seinen eigenen Weg gehen lassen.

Kai Weiß ist Vorstandsmitglied beim Hayek Institut und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Austrian Economics Center.

Die Originalversion auf Englisch finden Sie hier: American Institute for Economic Research

Author

Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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