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21.06.2019
Gespräch mit Karl Habsburg anlässlich der Hayek Tage 2019 in Wien

von Johannes Wolf
Sie gilt als älteste europäische Einheitsbewegung und hat schon vor knapp 100 Jahren mit visionären Thesen zur Rolle Europas aufhorchen lassen – die 1922 vom Österreicher Richard Coudenhove-Kalergi ins Leben gerufene Paneuropabewegung. Zentraler Gedanke war ein Europa, das geeint und als selbständiger politischer Akteur auftritt, gleichzeitig aber seinen Bürgern die Freiheit garantiert. Heute sind viele (nicht alle) dieser Ziele mit der Europäischen Union Wirklichkeit geworden. Die Paneuropabewegung setzt sich heute etwa für den Grundsatz ein, dass jedes europäische Land ein Recht auf Mitgliedschaft in der EU hat.
Nach dem Gründer stand viele Jahre hinweg Otto von Habsburg an der Spitze der Paneuropa-Union. Sein Sohn Karl Habsburg ist heute Präsident der Paneuropabewegung Österreich sowie Vizepräsident der Union. Mit dem Kampf um die Freiheit des Einzelnen, gegen einen allzu paternalistischen (Wohlfahrts-)Staat, für eine (übernationalen) rechtsstaatlichen Ordnung und dem Bekenntnis zum marktwirtschaftlichen Prinzip finden sich zwischen „Paneuropäern“ und „Hayekianern“ einige Gemeinsamkeiten. Nicht umsonst war Otto von Habsburg auch Mitglied der von Friedrich A. Von Hayek initiierten Mont Pèlerin Society.
Am Rande der Hayek Tage 2019 in Wien trafen einander der Präsident der Paneuropabewegung Österreich, Karl Habsburg und die Präsidentin des Wiener Hayek-Instituts, Barbara Kolm, zu einem Gespräch über die jüngsten Entwicklungen in Europa, der künftigen geopolitischen Rolle der EU und der Frage, ob auch Russland einmal Mitglied werden könnte.
Barbara Kolm: Am Beginn die Frage – sehen Sie nach der EU Wahl den von vielen befürchteten Rechtsruck in der Union?
Karl Habsburg: Nein, den haben wir eindeutig nicht. Wobei man muss sagen, die Erwartungshaltung war wesentlich größer, dass es einen wesentlich stärkeren Rechtsruck gibt. Kohärent ist der Rechtsblock allerdings sowieso nicht. Ich meine, etwa zwischen einem Geert Wilders und einem Matteo Salvini bestehen ja eigentlich überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Es gibt ja keinen echten Rechtsblock und dieser nicht-existierende Block ist dann auch nicht gewählt worden, nur in Teilen, etwa in Italien und Frankreich wurde er relativ stark. Deshalb bin ich eigentlich in Bezug auf die Wahlen recht zufrieden. Was sich jedoch aus den Wahlen ergeben wird, werden wir erst noch feststellen, wenn die verschiedenen Posten verteilt werden. Das kann man im Moment ja wirklich noch nicht sagen.
Kolm: Ein wichtiger Punkt, den wir hier erwähnen müssen, den ja ihr Vater auch immer betonte, ist: Individualismus versus Kollektivismus. Individualismus ist die Größe, die „Rechts“ und „Links“ ausbremst. Kollektivismus gibt es auf rechter wie linker Seite. Daher ist das ganz wichtig, dass man die individuelle Freiheit betont.
Habsburg: Ja natürlich, ganz genau. Die Freiheit ist die größte Leistung der Zivilisation, sie ist aber immer gefährdet und man muss sich ständig gegen alle Gefahren, die die Unfreiheit zu uns bringt, zur Wehr setzen.
Kolm: Sie sind ja ein Verfechter Europas und setzen sich zugleich sehr für das Subsidiaritätsprinzip ein, wohin soll sich Europa bewegen, soll es zu den Vereinigten Staaten von Europa werden?
Habsburg: Ich bin ein Prediger der Subsidiarität, weil ich das Gefühl habe, es ist das einzige System, das wirklich ein Bottom-up-System ist. Sie steht gegen eine Tendenz der Zentralisierung in Europa, die es in der Form, wie sie oft dargestellt wird, ja gar nicht gibt. Wenn man sich anschaut, was in den europäischen Institutionen geschieht, muss man feststellen, dass sie die transparentesten Organisationen in Europa sind. Realistisch betrachtet, ist kein Nationalstaat so transparent wie die EU. Man muss nur wissen, wo man nachschauen möchte und nachschauen muss. Da findet man alles, das ist eine faszinierende Sache.
Die Institutionen bedürfen aber natürlich einer gewissen Reform, insbesondere der Rat, muss ich ganz ehrlich sagen, weil er nach wie vor das nationale Element, das nicht europäische Element darstellt. Aber ich sehe es mehr von der emotionalen Seite aus. Natürlich bin ich ein berufsmäßiger und passionierter EU-Optimist. Und wenn ich aus irgendeinem geheimnisvollen Grund irgendwann einmal leichte Frustrationsanfälle habe – ich gestehe, selbst mir passiert das hie und da – dann komme ich, da ich international viel unterwegs bin, Gott sei Dank an oft sehr interessante Orte, wie zum Beispiel im Bereich der ECOWAS-Staaten.
Diese Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ist ja bei uns völlig unbekannt, wer fährt da schon hin? Trotzdem darf man nicht vergessen, dass dies eine Staatengruppe ist, die ihre eigene gemeinsame Währung hat, die so viele Elemente hat, die unseren Vorstellungen, nicht unseren Standards, entsprechen. Wenn ich jetzt mit Politikern rede, ob in Mali oder Burkina Faso, sagen mir die alle, ihr in Europa habt das System der Zukunft, das ist es, wonach wir uns ausrichten. Das Tollste für die Afrikaner ist die Vorstellung eines Europäischen Gerichtshofs – dass es sowas gibt, der auch funktioniert, der nicht korrupt ist. Wo man auch hinkommt, in die westafrikanischen, die ostafrikanischen Staaten oder die Asean-Staaten – alle sagen, das ist das System der Zukunft. Da bin ich dann wiederhergestellt, bin optimistisch, wie es meiner normalen Grundeinstellung entspricht.
Kolm: Ich möchte nocheinmal auf Europa zurückkommen. Was die Habsburger immer ausgezeichnet hat, waren die Pufferzonen. Wie ihr Vater auch sagte: „Je weiter die Grenzen der Freiheit nach Osten verschoben werden, desto sicherer wird die Mitte.“ Das ist die geopolitische Herausforderung vor der wir jetzt stehen, dass es diese Pufferzonen nicht mehr gibt und wir daher in Europa umdenken müssen. Jetzt müssen wir erstmals über gemeinsame Außengrenzen tatsächlich nachdenken, wie ist das zu bewerkstelligen und auch absichern? Das ist eine sehr große Herausforderung.
Habsburg: Ja selbstverständlich. Wobei wir uns darüber im Klaren sein müssen, diese Pufferzonen gibt es deswegen nicht mehr, nicht weil sie geografisch verschwunden wären, sondern weil Kommunikations- und Transportwege wesentlich kürzer geworden sind. Man kann sagen, diese Art von Pufferzonen können heute so leicht überwunden werden, dass sie eigentlich nirgendwo mehr existieren. Das ist ja, was unser modernes System so interessant und aufregend macht.
Kolm: Sie sprechen davon, dass die EU geopolitisch eine größere Rolle spielen sollte – wie realistisch ist das? Schaut man sich die aktuelle Sicherheits- und Verteidigungspolitik an – die EU hat es etwa nicht ein Mal geschafft, eine gemeinsame Aussage zu der Debatte zu machen, wer der venezolanische Präsident sein soll.
Habsburg: Das hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich sage ganz ehrlich, wenn ich mir heute ein Spannungsfeld anschaue wie in Spanien – wenn es um Lateinamerika geht – gibt es hier gewisse Resistenzen, inwieweit man sich in die Politik Venezuelas hineinmischt oder heraushalten sollte. Das zeigt die Vielfalt von Europa. Das ist eine Sache, die ich phantastisch finde und etwas, das für mich Europa im Gegensatz zu Amerika ausmacht. Ich will keinen amerikanischen „Einheitsgatsch“ haben. Ich will ein vielkulturelles, ein diverses Europa haben. Mit vielen Sprachen, mit vielen Kulturräumen.
Natürlich haben wir derzeit kein funktionierendes sicherheitspolitisches Konzept. Wir doktern an der Außenpolitik herum und versuchen eine europäische Außenpolitik herzustellen. Ich bin aber trotzdem völlig überzeugt, dass wir mit Abstand das modernste politische Konzept der Welt haben. Ich glaube, die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft haben nach dem 2. Weltkrieg begonnen, gedanklich an einem Konzept zu basteln, das auf viele Jahrzehnte vorausgedacht war. Jetzt wachsen wir erst langsam in diese Schuhe hinein.
Das ist der Grund, warum ich bei Europa immer ein Optimist bin. Mit großer Wahrscheinlichkeit sehen wir in den nächsten zehn Jahren oder gar zu meiner Lebenszeit nicht mehr die militärische Weltmacht oder auch nicht unbedingt die wirtschaftliche Weltmacht. Aber wo wir sicherlich jetzt schon die führende Macht sind, ist im Vorausdenken zum beispielhaften politischen System, das auf die einzelnen Bürger – was die Grundrechte, und die Freiheit betrifft – eingeht. Da sind wir Vorreiter und da sehe ich auch die europäische Stärke.
Kolm: Wir müssen aber aufpassen, dass es keinen „Braindrain“ gibt, dass unsere guten jungen Leute Europa nicht verlassen, weil die wirtschaftlichen Bedingungen woanders besser sind. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, gemeinsam daran arbeiten, dass das Wirtschaftswachstum weiter bestehen bleibt.
Habsburg: Ja, absolut, das muss man auch bedenken.
Kolm: Das Paneuropäische Picknick an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich am 19. August 1989, unter der Schirmherrschaft von Otto von Habsburg, gilt ja als ein Symbol für den wenig später erfolgten Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, dem Zusammenbruch der Sowjetunion, des kommunistischen Systems. Heute, 30 Jahre später, stellt sich die Frage, wie gehen wir mit Russland um?
Habsburg: Es sollte nicht an uns liegen, zu sagen, welches Land EU-tauglich ist oder nicht. Wir haben Kriterien aufgestellt, erfüllt ein Land diese, dann sollte wir nicht eine neokolonialistische Position beziehen und sagen „Du ja und du nein“ – aus was immer für Gründen. Dann lasst uns sagen „welcome, du erfüllst die Kriterien, du hast offensichtlich Interesse an unserem Wertesystem, natürlich sollst du dazugehören.“ Ich hätte überhaupt kein Problem, wenn selbst ein lateinamerikanisches Land in die EU kommt.
Kolm: Die Geografie ist keine Grenze?
Habsburg: Sie kann keine Grenze sein. Die einzige Grenze Europas, die klar definiert ist, ist jene nach Norden. Sonst ist alles offen. Es wäre völlig unhistorisch etwas anderes zu sagen. Historisch war das Mittelmeer immer ein europäischer Binnensee, Europa hat sich um das Mittelmeer herum entwickelt. Man darf das nicht zu eng sehen. Wer heute zum Beispiel nach Georgien geht und sich dort nicht wie in Europa fühlt, dem kann man auch nicht helfen. Der versteht nichts davon. Das ist klar europäisch. Das gleiche gilt etwa für St. Petersburg.
Aber Russland hat ein Problem. Im Zeitalter, wo es keine Kolonialstaaten mehr gibt, ist es die letzte große Kolonialmacht, auch wenn die verschiedenen Kolonialstaaten geografisch an dem Land dranhängen. Wie jede Kolonialmacht sie hatte, gibt es auch hier Schwierigkeiten. Charles de Gaulle hat das am Beginn der europäischen Einigung klar erkannt: Frankreich muss zuvor erst Dekolonisieren, damit es die Schwierigkeiten der Kolonien nicht nach Europa hereinbringt. Deswegen ist er genau diesen Weg gegangen. Für Russland schaut es jetzt ganz ähnlich aus. Sein gegenwärtiges politische System ist nicht mit unserem kompatibel. Russland ist für mich ein europäisches Land, aber es muss sich noch einiges ändern, damit es nach Europa herein passt.
Ich bin immer für eine große Europäische Union, ich sehe da keine Einschränkungen. Die liegen nur an der Anerkennung der entsprechenden Werte wie Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, Privateigentum und Freiheit.
Ein Transkript zur Rede von Karl von Habsburg anlässlich der Hyek Tage finden Sie unter folgendem Link:
https://www.karlvonhabsburg.at/newsroom/interviews-reden/detail/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=116&cHash=151e64c299e0daa066ec8517ff1cc14d
Johannes Wolf ist als freier Journalist in Wien tätig.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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