|
13.01.2015
GRexit: Ein denkbarer und dankbarer Weg?

Griechenland wählt: Gewinnt das Linksbündnis Syriza, soll der Sparkurs beendet und EU-Vorgaben neu verhandelt werden. Verkraftet die Eurozone einen Exit Griechenlands?
von Raoul Sylvester Kirschbichler
Durchaus berechtigt ist die Frage, wie frei die bevorstehenden Wahlen in Griechenland wirklich noch sind? Schließlich wirft die europäische Debatte rund um einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands einen sehr langen schwarz-rot-gelben Schatten voraus. Deutschland hat sie angezettelt und eindeutig klar gemacht, dass sich die Eurozone nicht erpressen lässt. Hinter der deutschen Schlussfolgerung, dass ein Austritt Griechenlands verkraftbar ist, steckt zunächst einmal politisches Kalkül:
Merkel & Co. wollen, dass der Konservative Adonis Samaras am 25.Jänner als Wahlsieger hervorgeht. Mit dem Linksbündnis Syriza unter Alexis Tsipras, das in den Meinungsumfragen immer noch vorne liegt, wollen Europas Sparkursfanatiker nichts zu tun haben. Tsipras hat unmissverständlich klar gemacht, dass er, im Falle eines Wahlsieges, den eingeschlagenen Sparkurs verlassen wird. Kein gänzlich neuer Gedanke. Europaweit glauben Politiker aber, dass drastische Sparmaßnahmen keine Volkswirtschaft in Fahrt bringen können und, dass sich neue bzw. alte Schulden leichter zurückzahlen lassen, wenn Reformen mitsamt klugen Investitionen Wachstum schaffen.
Griechenlands Syriza ist genau genommen keine richtige politische Partei, sondern eher ein Zusammenschluss linker Gruppierungen: von Linkssozialisten und Marxisten bis hin zu Maoisten und Altkommunisten. Jeder Dritte innerhalb des Linksbündnisses ist allerdings ein linker Extremist, der einen Euro-, EU- und NATO-Austritt Griechenlands befürwortet. Gleichzeitig sollen die jüngsten Privatisierungen strategisch wichtiger Unternehmen wieder rückgängig gemacht werden.
Bereits vor den letzten Griechenland-Wahlen (im Juni 2012) ging es Tsipras primär um die Bekämpfung der humanitären Krise. Um sie in den Griff zu bekommen, möchte er, dass die Vorgaben der Troika (sie setzt sich zusammen aus Vertretern des Internationalen Währungsfonds, der Europäische Union und der Europäischen Zentralbank zusammen) gänzlich neu verhandelt werden. Doch wer genau hinhört, der weiß, dass Tsipras auch laut darüber nachdenkt, die Kreditverträge und Vereinbarungen mit der Europäischen Union zu zerreißen, nicht neu zu verhandeln. Wahlkampfrhetorik?
Der zarte Aufschwung
Ob das der einzige und gleichzeitig beste Weg zurück zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung Griechenlands
ist, darüber ist man sich selbst innerhalb des Linksbündnisses Syriza uneinig. Denn Griechenland scheint die wirtschaftliche Talsohle mittlerweile durchquert zu haben. Die zaghaften Reformen, die harten Einschnitte in Kombination mit den diktierten Sparmaßnahmen haben das Land nach sechs Jahren erstmals aus der Rezession geführt.
Auch, weil die Griechen begonnen haben umzudenken: Das Urlaubsland zählte im letzten Jahr rund 22 Millionen Gäste (das Bruttoinlandsprodukt hängt zu 20 Prozent vom Tourismus ab); künftig sollen spezielle Angebote für Senioren die Tourismussaison über die Wintermonate hinaus verlängern.
Zudem hat China die geopolitische Bedeutung von Piräus erkannt. Die griechische Hafenstadt wird seit 2008 vom chinesischen Transportgiganten Cosco kontrolliert, er hält 70 Prozent der Anteile; Piräus ist heute der wichtigste europäische Knotenpunkt für Chinas Containerschiffe. Um das chinesische Handelsnetz auf europäischem Boden weiter zu verbessern, werden auch Griechenlands Bahnverbindungen zu den wichtigen (chinesischen) Absatzmärkten in Mittel- und Osteuropa erneuert bzw. ausgebaut: Der Flughafen Eleftherios Venizelos soll mit Pekings Unterstützung zur neuen Megadrehscheibe für Waren „Made in China“ werden. Für China ist das Potenzial, das Griechenland langfristig mit sich bringt eindeutig höher als die große derzeit vorherrschende Rechts-Unsicherheit, die immer noch viele Investoren abschreckt.
Übrigens: Größter deutscher Investor ist der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport (http://www.fraport.de), der erst im letzten November gemeinsam mit seinem griechischen Partner den Zuschlag für die Privatisierung von 14 griechischen Regionalflughäfen bekommen hat. Das Gesamtvolumen der Betreiberkonzessionen beträgt rund 1,2 Mrd. Euro.
Plötzlich wächst Griechenlands Volkswirtschaft wieder. Wenn wir den Berechnungen des Zentrums für Planung und Ökonomieforschung (KEPE) in Athen glauben dürfen und auch glauben möchten, dann lag das Wachstum im dritten Quartal 2014 bei schwachen 0,38 Prozent. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Griechenland für 2014 ein Wachstum von 0,5 Prozent vorhergesagt. Der freie Fall der griechischen Volkswirtschaft scheint vorläufig gestoppt zu sein. Laut Gerüchten könnte das Land bereits im kommenden Juni mit einer langfristigen Anleihe an die Finanzmärkte zurückkehren.
Leere Staatskassen
Doch in Wirklichkeit wird sich Griechenland in absehbarer Zeit am Kapitalmarkt nicht refinanzieren können. Bereits im kommenden März ist die Staatskasse erneut leer. Sollten die Koalitionsverhandlungen bis dahin abgeschlossen sein, wird die neue Regierung wieder auf EU-Hilfskredite angewiesen sein. Daran führt kein Weg vorbei. Genau genommen ist Athen Lichtjahre von einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung entfernt. Schon jetzt ist eine neue Finanzlücke von 12,6 Milliarden Euro in Sicht, weil Griechenland bereits Ende 2012 das Rettungspaket für 2015 geöffnet hat. Ein Teil des Geldes wurde damals für den Rückkauf von Staatsanleihen ausgegeben, um die Schuldenquote zu drücken. Parallel dazu – so die Vorgaben – müssten bis Ende 2015 die griechischen Rücklagen von fünf auf sieben Mrd. Euro erhöht werden. Aus eigener Kraft wird das nicht gelingen.
Seit 2010 wird Griechenland mit zwei gigantischen Rettungsprogrammen in Höhe von 240 Mrd. Euro von den EU-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) irgendwie über Wasser gehalten. Ohne ein drittes Hilfspaket droht vermutlich zum x-ten Mal eine griechische Tragödie: Der unaufhaltsame Staatsbankrott. Dabei zahlt Griechenland, laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf seine gesamten Staatsschulden von 318,35 Mrd. Euro (http://de.statista.com/statistik/daten/studie/167459/umfrage/staatsverschuldung-von-griechenland/) lediglich einen Zins von durchschnittlich 2,4 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland bezahlt für seine ausstehenden Anleihen durchschnittlich 2,7 Prozent Zinsen.
Es wird immer offensichtlicher, dass ein marodes Land mit einer Schuldenlast von mehr als 175 Prozent der Wirtschaftsleistung seine Schulden nie zurückzahlen wird können. Aber das haben verschiedene Experten den Griechen bereits vor drei Jahren vorhergesagt. Griechenland müsste enorme Haushaltsüberschüsse erwirtschaften, um seine Schulden irgendwann zurückzuzahlen zu können. Selbst bei völlig unrealistischen Wachstumsprognosen von rund 4 Prozent pro Jahr, dauert es 58 Jahre bis die Europäische Zentralbank ihr Geld zurückbekommt.
Es gibt keine Alternative zu einem Schuldenschnitt. Der Chefökonom des Linksbündnisses Syrizas, John Milios, geht sogar noch einen Schritt weiter: Er möchte eine sogenannte Wachstumsklausel für jene Schulden einführen, die nach dem Schuldenschnitt übrig bleiben, angelehnt an die Vereinbarung über Deutschlands Schulden aus dem Jahr 1953. Erst im Dezember präsentierte Milios gemeinsam mit Syriza-Verbündeten wie der spanischen Poldemos und der deutschen Linken weitere Details:
Orginaldokument: http://www.levyinstitute.org/pubs/wp_819.pdf
Der Vorschlag beruht auf einer einfachen Idee: Die Europäische Zentralbank soll allen Eurostaaten jene Schulden abnehmen, die 50 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung übersteigen und diese in extrem lang laufende Nullzins-Anleihen umwandeln. Durch die Inflation verlieren diese Anleihen jedes Jahr an Wert. Sobald der Wert auf 20 Prozent (der jährlichen Wirtschaftsleistung) gefallen ist, kaufen die Regierungen die Anleihen der Europäischen Zentralbank zum Nominalwert wieder ab.
Die Milliardenunterstützungen für Griechenland haben in den letzten Jahren immer nur die Märkte beruhigt, Reformvorhaben haben sie nicht beschleunigt. So verwundert es auch nicht, dass weder neue Investoren – von China einmal abgesehen – noch die Märkte selbst echtes Vertrauen in die griechische Wirtschaftspolitik haben.
Das einkalkulierte Risiko
Als Merkel & Co. den Exit Griechenlands (GRexit) aus der Eurozone wie ein bereits einkalkuliertes Risiko darstellten, fiel der Euro (zum US-Dollar) sofort unter 1,20. Merkels Manöver erscheint auf den ersten Blick unklug und nur politisch motiviert zu sein. Schließlich könnte, falls Griechenland wirklich die Eurozone verlässt, das Wenige, das irgendwie mit EU-Geldern erreicht wurde, mit einem Schlag zunichte gemacht werden, es wird dem GRexit geopfert.
Verständlicherweise runzelt Brüssel die Stirn, pocht auf die Einhaltung der Verträge, auf den Weiterbestand der Eurozone in seiner derzeitigen Konstellation. Schließlich gibt es in den Europäischen Verträgen auch keinen Paragraphen, der einen Austritt ermöglichen könnte. Doch als die Verträge unterzeichnet wurden, war weder eine Schuldenkrise noch eine weltweite Wirtschaftskrise in Sicht. Auch die tatsächlichen Staatsschulden Griechenlands waren zu diesem Zeitpunkt unbekannt.
Die Eurozone sollte den Wohlstand vergrößern, den Zusammenhalt der Euroländer stärken und Europa in einen einzigartigen Wirtschaftsgiganten transformieren – das waren die Ziele der Väter der Währungsunion. Doch Wachstum konnte in der ersten Phase nur durch noch größere Verschuldung erkauft werden. Das rächt sich heute. Im Fall Griechenlands sind die Schulden einfach nicht mehr zurückzuzahlen.
Hat Merkel das erkannt? Versucht sie, indem sie das Linksbündnis Syriza ins politische Abseits abdrängt, Griechenland einen politischen Korridor zu eröffnen, der dem Land einen Neubeginn außerhalb der Eurozone ermöglichen könnte? Nein, offiziell natürlich nicht, weil ein GRexit unvorstellbare Konsequenzen hätte, wie immer wieder betont wird. Zudem ist ein Austritt, wie erwähnt, rechtlich gar nicht möglich. Wer politisch korrekt handeln möchte, einerseits im Sinne der Europäischen Verträge, andererseits, weil die Griechen frei ihr Parlament wählen können sollen, der muss Merkel jetzt zurückpfeifen.
Der Status quo, der bei näherer Betrachtung deutlich macht, ein neues Hilfspaket für Griechenland schon im März geschnürt werden muss, galt vor drei Jahren auch noch als eine unvorstellbare Konsequenz. Durchaus vergleichbar mit den heute skizzierten Horrorszenarien, die ein sofortiger Euro-Austritt Griechenlands zur Folge hätte. Die kostspielige Rettung vieler europäischer Banken, wurde von ähnlichen Argumenten gestützt.
Die durchlebte politische Realität scheint nie so schlimm wie das, was uns angeblich droht, wenn wir den eingeschlagenen Kurs tatsächlich verlassen.
Auch wenn das Linksbündnis Syriza, wie zu erwarten ist, wieder nur den 2. Platz bei den Wahlen belegt, könnte ein Exit Griechenlands aus dem Eurobündnis weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Nämlich dann, wenn Europäische Union und Europäische Zentralbank kein drittes milliardenschweres Hilfspaket für Griechenland genehmigen, weil es politisch nicht mehr vertretbar ist und, weil – laut Merkel – ein Austritt der Griechen wirtschaftlich verkraftbar ist.
Das ist kein denkbarer, aber vielleicht ein dankbarer Weg.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
Gefällt Ihnen der Artikel?
Das freut uns! Bitte unterstützen Sie uns, wenn Sie mehr solcher Artikel lesen möchten:
Blog