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28.02.2022
Inflation – Hype oder Horror?
von Martin Friedrich
Martin Friedrich wird am 9. März um 17:00 Uhr im Hayek Institut einen Vortrag zum Thema „Inflation – Hype oder Horror“ halten.
Inflation – tatsächliche Bedrohung oder Panikmache der Medien?
In den letzten Monaten hat das öffentliche Interesse am Thema Inflation weiter zugenommen. Für uns als Vermögensverwalter ist Inflation schon immer wichtig gewesen. Deshalb verfolgen wir die Entwicklung auch mit speziell für diesen Zweck gebauten, vorausschauenden Modellen. Obgleich wir sonst nicht zu tagesaktuellen Berichten Stellung beziehen, hoffen wir, in diesem speziellen Fall einen nützlichen Beitrag zu liefern. Wie immer ist unser Ansatz analytisch und basiert auf realen Erfahrungen.
Abbildung 1: Inflationserwartungen (umfragebasiert[1]) | ||
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* Ex Tabak, unrevidierte Serie | Quellen: Bloomberg, EZB |
In Abbildung 1 wird die historische Entwicklung der letzten 3 Jahre den aktuellen Erwartungen einer Expertengruppe für die nächsten fünf Jahre gegenübergestellt. Laut der jüngsten „Survey of Professional Forecasters“ hat die Inflation im Anfang 2022 ihren Höhepunkt erreicht und dürfte bis Ende dieses Jahres wieder auf 3,0% zurückkehren. Ende 2023 wird ein Tiefpunkt bei ca. 1,8% erwartet, bevor sie im Zeitraum 2024-2026 wieder leicht ansteigen wird.
Obwohl diese Vorhersage exakt so wohl nicht eintreffen wird, hegen wir eine gewisse Sympathie für die in der Grafik dargestellte Tendenz. Lassen Sie uns also fragen: Könnten die Experten Recht behalten? Oder sollen wir doch lieber den Zeitungen vertrauen?
Sind solche Prognosen glaubwürdig?
Abbildung 2: Inflationserwartungen (marktbasiert) | |
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* Ex Tabak, unrevidierte Serie | Quelle: Bloomberg |
Abbildung 1 wurde von uns auf der Grundlage der Ergebnisse der „Survey of Professional Forecasters“[2] der EZB erstellt. Bei dieser vierteljährlichen Umfrage wird ein Gremium von Experten aus Finanz- und Wirtschaftsforschungsinstituten befragt, um ihre Ansichten über die wahrscheinlichste künftige Inflationsentwicklung einzuholen. Es handelt sich um einen Versuch, die „Weisheit der Vielen“ zu nutzen, eine bekannte Technik zur Verbesserung der Entscheidungsfindung unter unsicheren Bedingungen. Insgesamt werden pro Quartal etwa 55 Antworten ausgewertet[3].
Es ist immer besonders schwierig, den unmittelbar bevorstehenden Wendepunkt eines Trends mit Zuversicht vorherzusagen. Auch sind wir uns bewusst, dass Einzelpersonen und vielleicht sogar Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine andere Vorstellung von der Inflation haben können. Dabei gibt es folgendes zu bedenken:
- Die individuelle Wahrnehmung der Inflation ist in der Regel durch besonders häufig konsumierte Güter dominiert – diese sind in der Summe der Erfahrungen überrepräsentiert, auf die wir uns bei der Beurteilung stützen. Hochfrequente Käufe prägen deshalb die Erwartungen der Verbraucher. Im Gegensatz dazu besteht der Warenkorb, der zur Bestimmung des allgemeinen Preisniveaus herangezogen wird, aus einer viel breiteren Palette von Waren und Dienstleistungen.
- Die Höhe der Inflation wird im Einzelfall wesentlich durch den individuellen Lebensstil bestimmt. Der individuelle Warenkorb einer Person kann sich stark von dem einer anderen unterscheiden. Institutionen, die mit der Beobachtung der gesamten Wirtschaft beauftragt sind, haben jedoch die Aufgabe, das durchschnittliche Preisniveau für alle Transaktionen in einem Land zu messen.
Letztlich bleibt darauf hinzuweisen, dass eine rückläufige Entwicklung der Inflation nicht nur in Umfragen, sondern auch vom Kapitalmarkt antizipiert wird (siehe Abb. 2). Ebenso wird ein Rückgang nicht nur in Europa erwartet – in den Vereinigten Staaten zeichnet sich eine vergleichbare Dynamik ab. Was sind aber nun die Gründe zu glauben, dass sich die aktuelle Besorgnis als überzogen oder zumindest verfrüht herausstellen wird?
Abbildung 3: Pro-Kopf verfügbares Einkommen, USA |
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Quelle: Bloomberg |
Zunächst müssen wir uns erinnern, dass die Pandemie keine Rezession im herkömmlichen Sinn verursacht hat. Zwar stand im Frühjahr 2020 tatsächlich die Welt für einen Moment still – ähnlich wie im Oktober 2008, – aber diesmal war es ein externer, systemfremder Schock, der dafür verantwortlich war. Die Rezession wurde durch Regierungsmaßnahmen quasi von oben herab verordnet, um noch größere Panik zu vermeiden und Leben zu retten. Ebenso waren die Behörden in der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ungleich aggressiver als nach der Lehman-Pleite von 2008. Vor allem die fiskal-politischen Maßnahmen (auf die wir noch zurückkommen werden) haben dazu geführt, dass erstmals in der Geschichte das frei verfügbare Einkommen durchschnittlichen US-Haushalte während einer Rezession GESTIEGEN ist (Abbildung 3).
Abbildung 4: EU Inflation Güter vs. Dienstleistungen |
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Quelle: Bloomberg |
Liebe LeserIn, versetzen Sie sich in die Situation eines US-Bürgers im Herbst 2020: der durchschnittliche Verbraucher hatte plötzlich MEHR Geld, andererseits waren aber die Möglichkeiten, dieses Geld auszugeben, beschränkt. Restaurants wurden geschlossen, ebenso wie Kinos, Bars und Hotels. Plötzlich gab es keine Kreuzfahrten oder Vergnügungsparks mehr, usw. Der Dienstleistungssektor war also überdurchschnittlich betroffen. Kein Wunder, dass sich die Nachfrage daher auf den Gütersektor konzentrierte: es wurden also Fernseher gekauft, ebenso wie Computer, Waschmaschinen, Spielkonsolen und Netflix-Abonnements. Der sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach Unterhaltungselektronik führte rasch zu einer Knappheit in der Halbleiterbranche, die bis heute andauert, und auch zu vielen Lieferausfällen in der Automobilbranche geführt hat. Ebenso führte der vorübergehende Stillstand weiter Teile der Wirtschaft zu massiven Verwerfungen im Energiesektor. Im Mai 2020 kam es für einen Tag sogar zu einem negativen Preis für Rohöl, so groß war der Überfluss. Heute hingegen notiert Rohöl auf dem höchsten Wert seit 2014. Kein Wunder also, dass die Güterpreise, nach einer zunächst rückläufigen Entwicklung, umso stärker nach oben schossen.
Abbildung 4 zeigt diese Entwicklung am Beispiel der für uns relevanten Eurozone. Obwohl die Regierungen hier weniger großzügig waren als die der USA, konnten wir ähnliche Muster beobachten. Wir vergleichen hierzu die Preisentwicklung getrennt nach Waren und Dienstleistungen: Man erkennt unschwer, dass die Inflation für Dienstleistungen 2020 zunächst auf 0,4% gefallen ist, um 2021 wieder zu steigen. Im Mittel sind die Preise dabei aber recht nah an dem Inflationsziel der EZB geblieben. Wie anders war die Entwicklung der Güterpreise: hier ist der Einfluss der fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen klar erkennbar.
Einer der Gründe, warum so viele Experten für 2022 einen Rückgang der Preis-Steigerungsraten erwarten, liegt genau hier: Eine erhöhte Güterpreis-Inflation eignet sich schlecht als struktureller Inflationstreiber. Bedingt durch den technischen Fortschritt sinken Güterpreise über längere Perioden eher, als dass sie steigen. Der Anstieg der letzten 12 Monate ist insofern atypisch und durch Sondereffekte klar zu erklären.
Um dies noch besser zu verstehen, lassen Sie uns im Folgenden die theoretischen Hintergründe beleuchten:
Was verursacht Inflation? – Ein Blick in die Küche
Es gibt mehrere konkurrierende und natürlich untereinander vernetzte Theorien, Inflation zu erklären und möglicherweise vorherzusagen. Diese Erklärungen fallen im Großen und Ganzen in drei Lager:
- Monetarismus – Inflation wird durch ein zu hohes Wachstum der Geldmenge verursacht
- Angebotsseitiger Zugang – sie wird verursacht durch steigende Preise für Eingangsgrößen im Wirtschaftskreislauf, wie Rohstoffe oder Löhne
- Nachfrageseitiger Zugang – hohes Wachstum führt zu Kapazitätsengpässen und Ressourcenknappheit, was dann in der Folge steigende Preise verursacht
Abbildung 5: US-Geldmengenwachstum, 1960-2021 |
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Quellen: Bloomberg, Federal Reserve |
Geldmengenwachstum
Heute machen sich Investoren ebenso wie viele andere Menschen gleichermaßen Sorgen über eine Rückkehr der Inflation in entwickelten Ländern. Sie sind verunsichert durch das rasante Tempo des Gelddruckens durch die Zentralbanken. Diese Dynamik wird in Abbildung 5 aufgegriffen, die das jährliche Wachstum der Geldmenge M1 in der US-Wirtschaft zeigt.
Die wissenschaftliche Basis solcher Inflations-Befürchtungen ist bekannt als „Quantitätstheorie des Geldes“. Es ist ein recht altes Paradigma, das allerdings davon ausgeht, dass weder das allgemeine Produktionsniveau noch die Geschwindigkeit des Geldes in einer Volkswirtschaft sich stark verändern. Die Begründung dieser These kann wie folgt dargestellt werden:
In der Geldwirtschaft wird die Beziehung zwischen Geldmenge und Inflation durch die sogenannte Quantitätsgleichung
MV≡PY
erfasst, wobei M = Geldmenge, V = Geldgeschwindigkeit, P = Preisniveau und Y = BIP. Werden V und Y als konstant angenommen, müssen M und P direkt proportional sein. In diesem Fall würde tatsächlich das Preisniveau der Geldmenge folgen.
In der heutigen Realität ist diese Annahme jedoch dadurch entkräftet, dass sich die Geschwindigkeit des Geldes sehr wohl verändert, und zwar deutlich. Nach ihrem Höchststand im Jahr 2007 ist zum Beispiel die Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge M1 um mehr als 60% zurückgegangen und hat so dafür gesorgt, dass die Preise weniger gestiegen sind, als es die Federal Reserve Bank eigentlich erreichen wollte. Der Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit seit Ende 2019 war noch stärker, er liegt bei fast 80%(vergleiche hierzu Abbildung 6). Wie kommt es dazu?
Abbildung 6: Geldumlaufgeschwindigkeit (USA, M1) |
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Quellen: Bloomberg, Federal Reserve |
Die starke Zunahme der Geldmenge ist eine direkte Folge der quantitativen Lockerungsprogramme: Wenn eine Zentralbank Anleihen kauft, erhalten die Verkäufer Bargeld. Dieses Bargeld wird, im Gegensatz zu Anleihen, in die Geldmengenberechnung einbezogen, der Anstieg der Geldmenge ist somit eine mathematische Konsequenz. Allerdings: Die Geldumlaufgeschwindigkeit wird um den gleichen Betrag abnehmen, solange dieses Geld auf Bankkonten begraben bleibt. Um Inflation zu erzeugen, muss es seinen Weg in tatsächliche Kaufentscheidungen finden. Genau hierin liegt der Bruch zwischen Quantitätstheorie und Praxis: Wie Zentralbanken schon in den Jahren nach der großen Finanzkrise 2008-2009 herausgefunden haben, sind Programme zur quantitativen Lockerung zwar wirksam, um Kapitalmärkte mit Liquidität zu versorgen, können aber die Nachfrage in der Realwirtschaft nicht stimulieren. Zentralbanken fühlten sich daher rasch hilflos bei ihrem Versuch, Inflation zu erzeugen[4], da die Geschwindigkeit des Geldes als Reaktion auf die erhöhte Geldmenge einfach schrumpfte und damit den größten Teil des gewünschten Effekts neutralisierte.
Angebots-seitige Argumente / Lohn-Preisspirale
Abbildung 7: Lohn-Preis Spirale – Vereinigte Staaten |
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Quellen: Bloomberg, OECD, Lansdowne Partners Austria |
Ansatz 2, das angebotsseitige Argument, wird oft als treibende Kraft hinter der Inflation der 1970er Jahre zitiert. Damals verfügten Gewerkschaften über eine beträchtliche Verhandlungsmacht und setzten hohe jährliche Lohnerhöhungen durch, was in weiterer Folge Konsumenten vielleicht dazu veranlasste, Inflation zu antizipieren. Volkswirte orteten eine „Lohn-Preis-Spirale“. Könnte dies wiederum passieren? Abbildung 7 vergleicht die Entwicklung der US-amerikanischen Stundenlöhne mit der Entwicklung der Produktivität und zeigt den Zusammenhang zwischen überschießenden Lohn-Abschlüssen und der Kerninflationsrate. Darin ist in der 2. Jahres-hälfte 2021 ein Aufwärtstrend klar erkennbar. Sollte sich ein solcher Trend zu Lohnsteigerungen oberhalb der Produktivität etablieren, ist klarerweise Gefahr im Verzug.
Die gute Nachricht für uns ist, dass sich eine ähnliche Entwicklung innerhalb der Eurozone noch nicht absehen lässt. Allerdings ist es schwierig, eine inflationäre Entwicklung mit einer solchen Analyse zu antizipieren, da Schätzungen für Lohnkosten und Produktivität mit einer großen Verzögerung verfügbar gemacht werden. Aus diesem Grund gehen wir bei der Steuerung des Endowment Funds noch einen anderen Weg: wir vergleichen die Entwicklung der Arbeitslosigkeit mit längerfristigen Schätzungen des Niveaus, bei dem eine Volkswirtschaft de facto Vollbeschäftigung erreicht hat. Diese so genannte NAIRU – das Akronym steht für „Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment“ – stellt eine Art Höchstgeschwindigkeit dar und hängt von der individuellen Struktur des Arbeitsmarkts in einem Land ab. Generell kann erwartet werden, dass ein Absinken der Arbeitslosigkeit unter diese Grenze innerhalb von 12-24 Monaten zu einer potenziell inflationären Aufwärtsdynamik bei Stundenlöhnen führt.
Abbildung 8: Überschießende Arbeitslosigkeit, USA | Abbildung 9: Überschießende Arbeitslosigkeit, EU-4 |
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Quellen: Bloomberg, BLS, CBO, OECD, Lansdowne Partners Austria |
Abbildungen 8 und 9 zeigen im direkten Vergleich, dass der Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten bereits in eine Phase der Überhitzung eingetreten ist, während in Europa die durchschnittliche Arbeitslosigkeit mit 8,15% noch ein wenig oberhalb der NAIRU liegt[5]. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass mit weiterem Fortschreiten der wirtschaftlichen Expansion eine ähnliche Entwicklung auch in der Eurozone in 1-2 Jahren realistisch ist.
Nachfrage-seitige Überlegungen
Auch dem dritten Ansatz folgend ist es im Moment noch schwierig, inflationsrelevante Kapazitätsengpässe zu diagnostizieren. Denn das Wirtschaftswachstum in der Eurozone liegt noch immer sehr weit unter seinem längerfristigen Trend. Hierin unterscheidet sich die US-amerikanische Wirtschaft ganz wesentlich: dort haben wir fast sicher den Trend mittlerweile zumindest wieder erreicht. Weiterführende Anreizprogramme dürften dort nach unserer Einschätzung tatsächlich die Inflations-Spirale anheizen. Abbildung 10 zeigt den Zusammenhang über mehrere Jahrzehnte: Wann immer die Produktionslücke[6] negativ war, tendierte die Inflation im Allgemeinen eher nach unten als nach oben. Nicht so im Jahr 2021: Die Entwicklung der letzten 12 Monate stellt eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel dar.
Abbildung 10: USA und Europa – Schätzung der Produktionslücke versus 12-Monats-Änderung der Inflation[7] | |
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Quellen: Bloomberg, OECD, Lansdowne Partners Austria |
Wir wissen auch nicht genau, geneigte LeserIn, wie sich diese Diskrepanz erklärt und wie sie sich auflösen wird. Wir vermuten aber, dass – wie schon erklärt – Sondereffekte eine wichtige Rolle spielen. Und wenn die aktuell hohe Inflation der Eurozone nicht strukturell bedingt ist, dann wird sie auch bald wieder sinken. Allerdings, soviel ist klar, stellt der aktuelle Datenkranz die Glaubwürdigkeit der Zentralbank auf eine Belastungsprobe.
Wie aber stellt sich der mittel- und längerfristige Ausblick dar?
Die Rolle der Finanzpolitik
Ungeachtet unserer Erwartung einer Entspannung gibt es längerfristige Treiber der Inflation, welche die bisher diskutierte Dynamik verändern könnten. Tatsächlich sehen wir am Horizont einen Inflationssturm aufziehen. Zur Erläuterung möchten wir kurz auf die Rolle der Finanzpolitik in der aktuellen Wirtschaftssituation eingehen.
Die Wirtschaftskrise des Jahres 2020 unterschied sich in einem Aspekt grundlegend von allen früheren Krisen: Diesmal war die Rezession das Ergebnis einer bewussten Entscheidung der Regierungen. Es wurde beschlossen, dass es für die Gesellschaft als Ganzes besser ist, sofort eine Rezession in Kauf zu nehmen, als sich später mit den Konsequenzen des Massensterbens infolge eines exponentiellen Anstiegs der Infektionen auseinanderzusetzen. In dieser Situation waren plötzlich viele Menschen auf „Hubschraubergeld“ angewiesen, um ihre Rechnungen weiterhin bezahlen zu können. Ohne die vielen im Jahr 2020 eilig aufgelegten Fiskalprogramme sähe die Welt heute wahrscheinlich anders aus. Erinnern Sie sich daran, wie wir bereits gesagt haben, dass Zentralbanken keine Nachfrage schaffen können. Sie können nur Liquiditätsengpässe verhindern und die Kosten der Kreditaufnahme senken. Echte Nachfrage entsteht dagegen, wenn eine Regierung Geld ausgibt oder es ihren Bürgern schickt – und es spielt dabei keine große Rolle, ob dies durch Steuersenkungen oder durch den Versand von Schecks an die BürgerInnen geschieht. Wir haben damit einen hochwirksamen Cocktail aus Steuerungsmaßnahmen geschaffen, der unsere Volkswirtschaften bis heute regiert und der außerordentlich gut zur Stabilisierung einer äußerst schwierigen Situation beigetragen hat. Dieser kombinierte Ansatz aus geldpolitischen Maßnahmen und fiskalischen Rettungsschirmen wurde von manchen auch als “Geldpolitik 3.0”[8] tituliert.
Um es auch auszusprechen: Wir waren/sind mit diesem Ansatz vorerst einverstanden. Die Frage ist, was passiert, wenn sich die Wirtschaft wieder erholt haben wird? Wir befürchten, dass es für gewählte Politiker deutlich schwieriger sein könnte, fiskalpolitische Förderungen wieder abzuschaffen, als es für Zentralbanken ist, die Zinsen zu erhöhen. Es schafft einen unangenehmen Kompromiss zwischen dem Versuch, wiedergewählt zu werden, und dem Imperativ, die Wirtschaft nicht überhitzen zu lassen. Zwei Beobachtungen machen diesen Zielkonflikt besonders unangenehm:
- Im Fall der Inflation gibt es besonders lange Verzögerungen zwischen Ursache und Wirkung. Eine Zinsentscheidung heute beeinflusst in der Regel die Inflation ein Jahr später, oder noch weiter in der Zukunft. Auch die fiskalpolitische Steuerungskomponente sollte, um erfolgreich zu sein, antizyklisch verwendet werden. Es besteht insofern das Risiko, dass Politiker, in einem steten Wettbewerb um kurzfristige Popularität stehend, davor zurückschrecken werden, zeitgerecht Maßnahmen gegen die Inflation zu setzen.
- Zweitens wird der politische Zeitgeist mehr und mehr von dem Phänomen der öffentlichen Empörung vereinnahmt. Massenproteste nehmen in vielen Regionen der Welt zu, stärken Populisten und sorgen für Reibungen im gesellschaftlichen Gefüge. Zwischen 2009 und 2019 haben weltweit solche Demonstrationen öffentlichen Unmuts jährlich um etwa 11% zugenommen. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass dieser Trend sich fortsetzt, angetrieben durch Zuzug in große Städte, verbessertem Zugang zu Bildung und sozialen Medien, steigender Jugendarbeitslosigkeit, zunehmender Ungleichheit sowie gerechtfertigte Bedenken hinsichtlich der Korruption und des Klimawandels[9]. Werden politische Entscheidungsträger vor diesem Hintergrund längerfristigen Inflationsrisiken die höchste Priorität beimessen?
Demographische Entwicklung
Schließlich sei erwähnt, dass die dis-inflationären Tendenzen der letzten 40 Jahre zumindest teilweise durch die demographische Entwicklung bedingt waren. Die Bevölkerungsdatenbank der Vereinten Nationen verfolgt die Größe der verschiedenen Schichten der Alterspyramide im zeitlichen Verlauf. Es gibt drei große Kohorten: die Jungen (0-19 Jahre), die Erwerbsfähigen (20-65 Jahre) und die Alten (65+). Die relative Größe dieser Bevölkerungskohorten lässt sich mit großer Genauigkeit für zumindest die nächsten 10-20 Jahre vorhersagen (da diese Menschen bereits geboren sind).
Was hat das jetzt mit Inflation zu tun, werden Sie fragen? Nun, im allgemeinen tragen die jungen und die alten Teile der Gesellschaft wenig zur Produktion von Gütern oder Bereitstellung von Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft bei. Sie konsumieren, was von der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bereitgestellt wird. Die Theorie geht deshalb davon aus, dass die Gesamtwirtschaft einer dis-inflationären Kraft ausgesetzt ist, wenn die Kohorte im erwerbsfähigen Alter rascher wächst als die Zahl der von ihr abhängigen Personen. Die gegenteilige Entwicklung – ein stärkeres Wachstum der jungen und alten Bevölkerungsteile – wird daher inflationär sein. Exponate 6-9 sollen dies verdeutlichen: Der dort gezeigte „Abhängigkeitsquotient“ ist ganz einfach das Verhältnis der Summe der Personen im Alter von 0-19 und 65+ pro 100 Einwohner im Alter von 20-64 Jahren. Wir vergleichen dieses Verhältnis mit der durchschnittlichen Inflationsrate der nächsten 5 Jahre. Auch wenn der dabei zu Tage tretende Zusammenhang natürlich die Inflation nicht allein erklären kann, ist er doch stark genug, um in unsere Überlegungen darüber, was vor uns liegen könnte, einbezogen zu werden.
Abb. 11: Abhängigkeitsquotient vs. Inflation | USA | Abb. 12: Abhängigkeitsquotient vs. Inflation | UK |
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Abb. 13: Abhängigkeitsquotient vs. Inflation | Japan | Abb. 14: Abh.-quotient vs. Inflation | Deutschland |
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Abb. 15: Abh.-quotient vs. Inflation | Österreich | Abb. 16: Abh.-quotient vs. Inflation | Schweiz |
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Quelle: Bloomberg, United Nations Population Database, Lansdowne Partners Austria |
Schlussfolgerung
Die heute hohen Inflationszahlen der Eurozone sind zum größten Teil auf Sonder-Effekte zurückzuführen: vorübergehende Steuersenkungen im Jahr 2020, der Zickzack-Kurs der Energiepreise und Pandemie-bedingte Nachfragespitzen bei bestimmten Konsumgütern haben alle dazu beigetragen. Wir erwarten daher in den kommenden Monaten eine Entspannung der Situation. Allerdings könnte dieser Rückgang nur vorüber-gehender Natur sein: Der Weg, auf dem sich die westlichen Volkswirtschaften befinden, ist konsistent mit einer Zunahme struktureller Inflationstreiber. Dieses Risiko wird weiter verstärkt durch die politischen und demographischen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft.
[1] Details siehe hier: ECB, Survey of Professional Forecasters – www.ecb.europa.eu/stats/ecb_surveys/survey_of_professional_forecasters/html/index.en.html
[2] Wörtlich übersetzt „Umfrage unter professionellen Prognostikern“
[3] Weitere Einzelheiten finden Sie im Wirtschaftsbericht 01/2019 der EZB, „Twenty years of the ECB Survey of Professional Forecasters“
[4] In einer modernen Volkswirtschaft ist eine Preissteigerungsrate von 0% gleich aus mehreren Gründen nicht wünschenswert. Im Allgemeinen wird daher ein Ziel von 2,0% formuliert, welches aber verfehlt wurde. In der Eurozone z.B. sind Preise auf dieser Basis seit 2010 um 5,6% weniger gestiegen, als sie eigentlich sollten.
[5] Grundlage der Berechnung ist ein einfacher Durchschnitt der Top 4 Volkswirtschaften: Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
[6] Die Produktionslücke ist ein weit gefasstes Maß für die Kapazitätsauslastung, welches von Zentralbanken und Volkswirten gern verwendet wird. Sie versucht zu messen, inwieweit das Aktivitätsniveau in einer Volkswirtschaft über oder unter ihrem langfristigen Potenzial liegt.
[7] Geglättete Darstellung (basierend auf 3-Monats-Durchschnitt)
[8] Zum Vergleich: unter „Geldpolitik Version 1.0“ wurde Zentralbankpolitik lediglich durch Zinserhöhungen und -senkungen betrieben, während die Politik 2.0 zusätzliche quantitative Lockerungsmaßnahmen vorsah.
[9] Für eine detaillierte Diskussion siehe „Das Zeitalter der Massenproteste“, veröffentlicht vom CSIS im März 2020: https://www.csis.org/analysis/age-mass-protests-understanding-escalating-global-trend
Martin Friedrich ist Portfoliomanager des Lansdowne Endowment Fonds.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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