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19.10.2022
Italien, Herausforderungen und Ungewissheiten in einer neuen politischen Saison

Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt nur abzuwarten, wer der neuen Regierung angehören wird, und es bleibt zu hoffen, dass sie sich vorrangig um die zahlreichen internen Probleme kümmern wird.
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Italien sucht Veränderung und wendet sich nach rechts. Wie in den Umfragen allgemein vorhergesagt, haben die italienischen Wahlen ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Mitte-Rechts hat sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat eine Mehrheit errungen. Angetrieben wurde die Koalition von Giorgia Meloni, deren Partei (Fratelli d’Italia) nur knapp den Spitzenwert von 26 % erreichte und im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2018 fast sechs Millionen Stimmen dazugewann.
Ein Sieg, der das interne Machtgleichgefüge innerhalb der Rechten, die jahrelang von Silvio Berlusconi angeführt wurden, neu definiert. Aber nicht alles ist rosig bei den Mitte-Rechts-Parteien. Obwohl er Teil der Gewinnerkoalition ist, geht Salvini als Verlierer aus den Wahlen hervor. Die Unterstützung für die Lega sank unter 10 %, und im Vergleich zu den Wahlen von 2018 verlor sie 3,2 Millionen Stimmen (-57 %). Dies ist einer der kritischsten Punkte, der zu frühen Reibungen bei der Bildung der neuen Regierung führen könnte.
Trotz eines Rückgangs von 2,3 Millionen Stimmen im Vergleich zu vor vier Jahren hat Forza Italia einen Prozentsatz erreicht, der der Partei eine starke Position bei der Bildung der neuen Regierung garantiert. Dies ist eine gute Nachricht für Europa. Die Partei von Silvio Berlusconi könnte ein wichtiges Gegengewicht bilden, um die euroskeptischen Tendenzen der konservativen Rechten einzudämmen.
Aus den Ergebnissen der Wahlen vom 25. September geht die Niederlage der Linken und des Partito Democratico hervor, der trotz der Tatsache, dass er die wichtigste Oppositionspartei sein wird, nicht in der Lage war, die angestrebte 20 %-Hürde zu nehmen. Ein Ergebnis, das Enrico Letta zu der Ankündigung veranlasste, dass er auf dem nächsten PD-Kongress nicht mehr für den Parteivorsitz kanditieren wird. Der PD-Kongress muss sich auch einer größeren Aufgabe stellen, nämlich die, in einer eindeutigen Krise eine neue politische Plattform zu erarbeiten.
Die Ergebnisse für das Movimento 5 Stelle (5 Sterne Bewegung) waren dagegen nicht schlecht. Die Partei gewann in den südlichen Regionen an Unterstützung und erhielt im Vergleich zu den Umfrageprognosen eine gute Zahl von Stimmen, die auf einen Anteil von 15,4 % stiegen. Ein Ergebnis, das die M5S auf den dritten Platz hinter der FdI und der PD bringt, trotz eines Verlustes von 6,3 Millionen Stimmen im Vergleich zu 2018.
Der „dritte Pol“, angeführt von Calenda und Renzi, konnte sich nicht durchsetzen und blieb unter 8 %. Dennoch ist dies ein bemerkenswertes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass es sich um eine neu gegründete Partei handelt und der Wahlkampf kaum zwei Monate gedauert hat.
Die Partei der Nichtwähler
Besorgniserregend ist die hohe Zahl der Wahlenthaltungen. Mit einem Rückgang von 9 % im Vergleich zu den Wahlen von 2018 lag die Wahlbeteiligung bei 63,9 %. Das ist der niedrigste Stand aller Zeiten: Jeder dritte Italiener entschied sich, nicht zu wählen, eine Entscheidung, die – zumindest von einer beträchtlichen Anzahl – erst in den letzten Tagen vor der Wahl getroffen wurde. Ein Drittel gab an, Schwierigkeiten jeglicher Art gehabt zu haben, der Rest erklärte, dass es keine politische Partei gäbe, mit der man sich identifizieren könne.
Ein um ein Drittel kleineres Parlament
Es waren die ersten Wahlen nach der Pandemie mit einer neuen Legislative und einem um ein Drittel kleineren Parlament. Mit der Reform 2019 wurde die Zahl der Abgeordneten von 945 auf 400 bis 600 Abgeordnete und 200 Senatoren reduziert.
Die Mitte-Rechts-Parteien verfügen über die absolute Mehrheit. Mit 43,8 % der Stimmen erhielt sie 235 Sitze in der Abgeordnetenkammer und mit 44 % 112 Sitze im Senat.
Die nächsten Schritte
2018 dauerte es 89 Tage um eine Regierung zu bilden. Dieses Mal wird eine raschere Entscheidung. Die Fratelli d’Italia ist sich bewusst, dass sie nichts gewinnen würde, wenn sie gegen die scheidende Regierung arbeiten würde, insbesondere angesichts der aktuellen Krisensituation. Die Gespräche zwischen Giorgia Meloni und Mario Draghi begannen sofort, denn die geregelte Übergabe der Regierungsgeschäfte ist von grundlegender Bedeutung, um zu verstehen, wie man betreffend so heißer Themen wie den Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die NRRP-Fristen und den nationalen Haushalt weiter vorgehen wird.
Obwohl es kaum Zweifel daran gibt, dass Giorgia Meloni nominiert wird, liegt die endgültige Entscheidung beim Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Die erste Sitzung der neuen Mitglieder der Abgeordnetenkammer und des Senats ist für den 13. Oktober anberaumt, bei der die Präsidenten der Kammer und des Senats gewählt werden. Anschließend werden Konsultationen mit Mattarella stattfinden, bevor der Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erteilt wird. Nach einer zweiten Konsultationsrunde wird die Entscheidung bestätigt und der neue Regierungschef wird seine Regierung vorstellen, die innerhalb von zehn Tagen ein Vertrauensvotum in der Abgeordnetenkammer und im Senat bestehen muss, damit die neue Legislaturperiode beginnen kann.
Was kann erwartet werden?
Die Reaktionen auf den Sieg der Mitte-Rechts-Parteien – vor allem in Europa – zeigen, dass Italiens Partner diese neue Situation nicht mit Gelassenheit hinnahmen. Die Entscheidung der Italiener, eine klare Richtungsänderung vollziehen, könnte beunruhigend wirken, vor allem wenn man bedenkt, dass die Gewinner die konservative Rechte ist.
In Fragen wie den Beziehungen zu den USA, dem Krieg in der Ukraine und der Rolle Italiens in der NATO hat sich der Vorsitzende der Fratelli d’Italia klar geäußert: maximale Kontinuität mit der Regierung Draghi. Italien wird die Ukraine weiterhin unterstützen (durch militärische und wirtschaftliche Hilfe) und eine Pro-Sanktions-Haltung gegenüber Russland beibehalten.
Am meisten beunruhigt über die Führungspersönlichkeit der Fratelli d’Italia ist Brüssel, das über die Ausbreitung des Rechtskonservatismus besorgt ist. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Italien in keiner besonders guten wirtschaftlichen Situation ist. Dies schränkt den Handlungsspielraum ein. Zwischen dem National Recovery and Resilience Plan (NRRP) und den europäischen Fonds steht eine beträchtliche Summe auf dem Spiel. Wenn Meloni das tun will, was (wie man hofft) gut für die Nation ist, sind Zusicherungen des Vorsitzenden der Fratelli d’Italia von grundlegender Bedeutung. Der grundlegende Widerspruch bleibt jedoch bestehen, wenn es um Deregulierung und Wettbewerbsreform geht. Die Regierung Draghi konnte aufgrund der Spaltung innerhalb des Kabinetts und der Ablehnung durch die Fratelli d’Italia nicht eingreifen. Die Liberalisierung des Verkehrssektors und anderer Sektoren ist eine absolute Notwendigkeit für Italien, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und Investitionen anzuziehen. Giorgia Meloni muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht: für die Entwicklung des Landes oder für den Schutz einer Reihe von kleinen Gruppen, die das Wachstum blockieren.
Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt nur abzuwarten, wer der neuen Regierung angehören wird, und es bleibt zu hoffen, dass sie sich vorrangig um die zahlreichen internen Probleme kümmern wird: Inflation, Anstieg der Energiepreise und langfristige Schulden. Es bleibt auch zu hoffen, dass der Wunsch nach Veränderung nicht dazu führt, dass Italiens Glaubwürdigkeit gegenüber dem Rest der Welt aufs Spiel gesetzt wird. Man wird sehen.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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