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22.09.2014
Karl Popper – Gegen Autoritäten jeglicher Art

Autor
© Wikimedia Commons
Von Federico N. Fernández
Austrian Economics Center
Am 17ten September 2014 jährt sich der Tod von Karl Popper zum zwanzigsten Mal. Popper war sicherlich einer der wichtigsten Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, wenn nicht überhaupt der Wichtigste. Seine Popularität war aber von sehr besonderer Natur: Anstatt seine Kollegen in den Philosophieinstituten zu beeinflussen, hatten Poppers Ideen ihren größten Einfluss unter Wissenschaftlern und Politkern. Möglicherweise war dies auch das größte Kompliment das man Popper machen konnte, da die Methodologie der Wissenschaften und politische Philosophie zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen zählten. Und dennoch bedauerte Popper Zeit seines Lebens, dass ihm von seinen akademischen Kollegen nicht mehr Respekt gezollt wurde.
Die mangelhafte Anerkennung innerhalb der akademischen Disziplin der Philosophie steht in einem krassen Gegensatz zu Poppers großem Ansehen in anderen Wissenschaftsdisziplinen, allen voran in der Naturwissenschaft. Die Liste jener Wissenschaftler, welche Bewunderung und Dankbarkeit für Popper ausgedrückt haben, inkludiert – und anderem – Peter Medawar, John Eccles, Max Perutz und Peter Mitchell. Unter diesem Hintergrund verwundert es dann auch nicht sonderlich, dass das prestigeträchtige Wissenschaftsmagazin Nature schreibt, dass „sich Popper insofern von der geistlosen Masse der Philosophen abhebt, als dass es uns gut tut, ihn zu lesen.“
Dennoch, zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Könnte es sein, dass Poppers Philosophie nach seinem Tod einfach unbemerkt dahinschwindet? Manche Leute sagen, dass seine wichtigsten Ideen heute gemeinhin akzeptiert sind. Ein Beispiel hierfür wäre Poppers „offene Gesellschaft“. Nach dem Zusammenbruch der beiden großen dämonischen – und von Popper stark bekämpften – Ideologien des 20ten Jahrhunderts, Nationalsozialismus und Kommunismus, und der universellen Verbreitung von Demokratie in der westlichen Welt, kann man sich fragen, ob uns Popper diesbezüglich überhaupt noch etwas lehren kann. Könnte es sein, dass ihn sein eigener Triumph selbst besiegt hat?
Es wäre natürlich auch denkbar, dass die Akzeptanz seiner Ideen noch lange nicht abgeschlossen ist. Möglicherweise ist Popper heute ja wichtiger denn je und Nassim Nicholas Taleb hat Recht, wenn er fragt: „Wo ist Popper, wenn man ihn einmal braucht?“ Auf den nächsten Seiten will ich Ihnen auf eine etwas ungewöhnliche Weise einige von Poppers wichtigsten Ideen vorstellen, indem ich diese mit aktuellen Ereignissen verbinde.
Wer solche Freunde hat …
„Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, eines von Poppers einflussreichsten Büchern, fand hier bereits Erwähnung. Es wurde 1945 veröffentlicht und von Popper als sein persönlicher Beitrag zu den Kriegsanstrengungen angesehen.
Popper glaubte, dass wir die ersten Spuren einer offenen Gesellschaft bereits im alten Griechenland finden können. Der Hauptpunkt ist hier, dass für die Griechen nomos (das Rechtssystem) nicht länger Teil der physis (natürliche Ordnung) war. Dem zufolge können soziale Fragen in offenen Gesellschaften ausdiskutiert werden. Außerdem können sich einzelne Individuen nicht mehr uneingeschränkt auf ihre Sippen verlassen und müssen zusehends Verantwortung für sich selbst übernehmen. Eine offene Gesellschaft ermöglicht etwas Außerordentliches – die Fähigkeit des Menschen, kritisch und reflexiv zu sein.
Wir verlassen nun das 5te Jahrhundert vor Christus und wenden uns Ereignissen aus dem viel näheren Jahr 2010 zu. In den vereinigten Staaten von Amerika, einer sehr fortschrittlichen Demokratie, wird ein wichtiges Gesetz vorbereitet, welches das amerikanische Gesundheitswesen grundlegend umgestalten soll. Und mitten in diesem Prozess meldet sich Nancy Pelosi, damals Sprecherin des Repräsentantenhauses, öffentlich zu Wort und postuliert, dass „Wir dieses Gesetz endlich verabschieden müssen, damit die Bevölkerung erfährt, was in ihm steckt.“ Dieses Zitat veranschaulicht sehr schön, wie schnell parlamentarische Debatten zu unkritischem Geplänkel verkommen können.
Popper war, anders als viele Kongress- und Parlamentsabgeordnete, überzeugt, dass sich der Mensch durch seine Fähigkeit zur kritischen Diskussion von den Tieren unterscheidet. Daher sollten wir auch in der Lage dazu sein, über Gesetzesvorschläge zu diskutieren und diese auch zu kritisieren, bevor sie umgesetzt werden. Durch diesen Prozess können wir schädliche Vorschläge präventiv verwerfen, bevor ihre Umsetzung uns Schaden zufügt. Diese rationale Methode ermöglicht es, dass, in Poppers eigenen Worten, unsere Hypothesen sterben, anstatt wir selbst.
Darüber hinaus glaube Popper an Reformismus, aber er vertrat diesbezüglich einen Ansatz der „kleinen Schritte“. Er war davon überzeugt, dass sich Politiker immer dessen bewusst sein sollten, dass ihr Wissen begrenzt ist. Demzufolge sollten Reformen in ihrem Umfang immer sehr begrenzt sein, und Politiker sollten immer im Vorhinein erklären, welche Ergebnisse die von ihnen implementierten Reformen erreichen sollen. Die Wirkung der verfolgten Politik sollte aufs Eifrigste gemessen und mit den erwarteten Resultaten kontrastiert werden.
Unsicherheit ist schwer zu ertragen
In dem Buch „Darwin’s legacy“ merkt der Philosoph John Dupré interessanterweise an: „Ich behaupte, dass Wissenschaft für ihre Behauptungen genug Wissen akkumulieren kann, sodass diese nahezu unmöglich zu falsifizieren sind und ich glaube, dass gewisse grobe Thesen über die Evolutionstheorie diesen Level an Glaubwürdigkeit erreicht haben.“ Wegen dem Wort „nahezu“ kann das Zitat als verwässerte Version der guten alten epistemologischen Rechtfertigungsstrategie betrachtet werden.
In Wahrheit sind wir nach wie vor daran gewöhnt zu glauben, dass uns die Wissenschaft mit begründetem und absolut wahrem Wissen versorgt. Wir glauben nicht nur, dass akzeptiere wissenschaftliche Theorien wahr sind, sondern auch, dass wir eine Methode haben um zu zeigen, dass die wahr sind. Wir sehen in der Induktion nach wie vor die epistemologische Garantie zur Erlangung von Wahrheit. In den prononcierteren Versionen des Argumentes ist Induktion sogar beides, die Methode und die Begründung. Induktion wird als Methode angesehen, weil die Wissenschaft angeblich induktiv funktioniert – über die unvoreingenommene Beobachtung der Natur, aus welcher gewisse Regularitäten abgeleitet werden. Sie ist aber auch eine Begründung für Wissenschaft, weil diese Beobachtungen empirische Unterstützung für unsere bewiesenen Theorien liefern.
In seinem 1934 erschienen Buch Logik der Forschung entwickelte Popper eine revolutionäre Alternative für die Methodologie und Philosophie der Wissenschaft. Induktion, so Popper, spiele in der Wissenschaft überhaupt keine Rolle. Forscher beginnen mit gewissen Problemen, welche sie lösen wollen. Demzufolge passiert jegliche Beobachtung von einem bestimmten Blickpunkt. Jedes Semester begann Popper die erste seiner Vorlesungseinheiten an der London School of Economics mit der Aufforderung an seine Studenten, doch einfach „Beobachtungen zu machen und Notizen anzufertigen“. Die Studenten waren in der Regel verwirrt, weil sie schlichtweg nicht wussten, was sie beobachten sollten. Popper verwendete dieses Beispiel um zu veranschaulichen, dass Beobachtung notgedrungen immer von einer zugrundeliegenden Theorie geleitet werden müsse. Darüber hinaus könne Induktion unsere Theorien niemals beweisen. Wie viele positive Beobachtungen können ein wissenschaftliches Gesetzt definitiv belegen? Welche Anzahl an beobachteten weißen Schwänen kann uns überzeugen, dass alle Schwäne weiß sind? Unter dem Einfluss des Irrglaubens dass Wissenschaft nicht empirisch sein könne, wenn sie nicht induktiv sei, haben viele das logische Problem der Induktion ignoriert oder sind dem Irrationalismus zur Gänze verfallen.
Poppers Lösung dafür ist, dass Wissenschaft sehr wohl rational als auch empirisch sein kann, solange sie nur kritisch ist. Experimentieren kann eine sehr wichtige Rolle in der Wissenschaft spielen, aber diese Rolle darf nicht mehr positivistisch sein. Empirische Verfahren können uns helfen falsche Theorien auszusondern. Demnach testen wir unsere Theorien an der Realität nicht um diese zu beweisen, sondern um jene Theorien zu widerlegen, die falsch sind. Popper pflegte zu sagen dass die wissenschaftliche Methode ein Prozess von Mutmaßung und Widerlegung ist. Wissenschaftler schlagen kühne Theorien vor und testen diese dann mit den striktesten Experimenten. Die besten Theorien sind jene, die sehr präzise Vorhersagen machen und möglichst viel des Universums bzw. der sozialen Welt erklären. Dadurch setzen sich diese Theorien auch am stärksten einer möglichen Falsifikation aus. Die rationalistische Grundhaltung besteht für Popper darin, hinaus in die Welt zu gehen und den einen schwarzen Schwan zu suchen. Unser Wissen über die Welt wächst nicht dann, wenn wir Bestätigungen für unsere bestehenden Theorien finden, sondern eher durch das Entdecken von Fällen, die ihnen widersprechen. Nur durch Falsifikation kann Wissenschaft empirisch werden. Wenn alte Theorien verworfen werden, müssen sie durch neue ersetzt werden, welche einen größeren empirischen Inhalt aufweisen. Das bedeutet, dass neue Theorien dazu in der Lage sein müssen, all das zu erklären, was schon von alten Theorien bewerkstelligt wurde, aber zusätzlich auch noch eine Erklärung für die Anomalien, an welchen die alten Theorien scheiterten, anzubieten. Popper glaubte dass uns dieser Prozess von Mutmaßung und Widerlegung ständig näher zur Wahrheit führte, letzten Endes aber niemals enden würde.
Genau genommen klingt das eingangs erwähnte Zitat von Dupré relativ vernünftig. Dennoch sind die Folgerungen daraus – von einem Popper’schen Standpunkt – dramatisch. Letzten Endes ist es nicht rational zu behaupten dass unsere Theorien, wie ergiebig sie auch sein mögen, vollständig begründet oder „nahezu“ begründet werden können. Die Behauptung des Gegenteils stellt einen ungerechtfertigten Vertrauensvorschuss dar – nicht zuverlässige Wissenschaft. Popper ging sogar so weit zu behaupten, dass ein Wissenschaftler, der behauptete, dass seine Theorie zutreffend sei und keine weiteren Test mehr benötigten werden, die Gefilde der Wissenschaft lange verlassen habe.
Argumentum ad populum
Der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten Al Gore, der gegenwärtige Präsident Barack Obama und der US- Außenminister John Kerry haben – wie viele andere – sehr oft auf eine Umfrage, welche behauptet, dass 97% aller Wissenschaftler glauben, dass der Klimawandel von Menschenhand gemacht ist, verwiesen. Diese Behauptung ist an sich fragwürdig und wird gegenwärtig einer genauen Prüfung unterzogen. Was aber noch viel wichtiger ist: Stellt die Übereinstimmung großer Teile der wissenschaftlichen Gemeinschaft über ein gewisses Thema einen legitimen Wissensanspruch dar?
Popper war überzeugt, dass es eine der außergewöhnlichsten Besonderheiten der westlichen Zivilisation war, dass sie diese „kritische“ Tradition hervorgebracht hatte. Er merkte an, dass der vorsokratische griechische Philosoph Thales zu seinen Schülern sagte: „So sehe ich die Dinge – ich glaube, dass sie so sind. Versucht dennoch meine Lehre zu verbessern.“ Dieser Ausspruch war stark in der Tradition der ionischen Lehre verhaftet, wonach jede Generation an Schülern ihre Lehrer kritisierte und versuchte, alternative und bessere Erklärungen vorzuschlagen.
Poppers Philosophie richtet sich gegen Autoritäten – Erkenntnistheoretische wie auch Politische. Dies inkludiert die vermeintliche Autorität der „Wissenschaft“ und der Wissenschaftler. Popper favorisierte eine Wissenschaft ohne Großbuchstaben – „science“ im englischsprachigen Original – und verstand diese als bescheidenes Projekt von Menschen mit der Zielsetzung den Wissensbestand zu vergrößern. Und weil wir über keine Methode verfügen um zu beweisen, dass wir richtig liegen, können wir uns auf keine Gewissheit stützen. Gewissheiten sind für Popper ohnehin nichts Anderes als das Produkt von Autosuggestion. Für ihn war Vernunft gleichbedeutend mit Kritik. Für Popper sind wir nur dann rational, wenn wir unsere Fähigkeit zu kritischem Denken benutzen. Wissenschaft – und Wissen im Allgemeinen – handelt nicht von der Erstellung von unwiderlegbaren Orthodoxien, statt dessen geht es um Fallibilismus und konstruktive Kritik. All unser Wissen ist Vermutungswissen. Es steht immer offen für kritische Revision und Widerlegung. Deshalb sollte auch keine wissenschaftliche Aussage ein erkenntnistheoretisches Dogma darstellen.
Die von Popper vorgeschlagene Philosophie wird gemeinhin als Kritischer Rationalismus bezeichnet. Wahrscheinlich kann dieser am besten als eine grundsätzliche Einstellung beschrieben werden. Ein kritischer Rationalist nimmt keine Aussage aus der Reichweite von Kritik aus. Wir können unsere kritischen Fähigkeiten in allen Bereichen des Lebens ausüben. Wir müssen immer versuchen unseren eigenen Ansichten nicht über alle Maßen zu verteidigen, sondern sie anzugreifen und gegebenenfalls mit besseren zu ersetzen. Folglich sind Poppers Ideen auch nicht auf die Methodologie der Wissenshaften reduzierbar. Falsifikation in der Wissenschaft ist eine methodologische Entscheidung, welche in weiter gefasst Philosophie des Fallibilismus eingebettet ist. Dies bedeutet einfach, dass wir uns nie vollkommen sicher sein können. Für manche stellt dies eine erkenntnistheoretische Katastrophe dar, sie kann aber auch als Segen verstanden werden. Wie Steve Fuller es ausgedrückt hat: „Wir können die Dinge immer besser machen.“ In der Welt des Wissens gibt es keine unverrückbaren Standpunkte.
Ein offenes Projekt
Mein Freund Mark Notturno arbeitete in den letzten Jahren dessen Lebens mit Popper. Er erzählte ihm, dass man seine gesamte Philosophie mit diesen wenigen Worten zusammenfassen könne: „Ich könnte falsch liegen und du könntest Recht haben, und mit ein wenig Aufwand können wir der Wahrheit näher kommen.“ Weiter oben haben wir einige fragwürdige Beispiele aus dem politischen Prozess, den erkenntnistheoretischen Status von Theorien und die soziale Wahrnehmung der Wissenschaft begutachtet. Natürlich könnten noch sehr viele andere Dinge zu dieser Liste hinzugefügt werden, beispielsweise das Phänomen der politischen Korrektheit als eine neue Quelle von Tabus und Einschränkungen oder das Erstarken von rechtem Fanatismus im Herz von Europa. In Anbetracht all dieser Probleme und Fehlvorstellungen erscheint ein rationaler, dialogischer, non-konformer und antiautoritärer Ansatz wie jener Poppers mehr als würdig wieder aufgegriffen zu werden.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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