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30.11.2020
Die Kosten der Coronavirus-Lockdowns
von Kai Weiß
In den nächsten Wochen werden wir Statistiken präsentieren, welche eine Reihe von Kosten der Lockdown-Politik aufzeigen. Dieser Artikel ist eine Einführung in diese neue Serie.
Seit Dienstag, 17. November, ist es wieder so weit: Österreich steckt in seinem zweiten schweren Lockdown aufgrund des Coronavirus nach bereits mehreren Wochen des „Lockdown Lights“. Nicht nur hier ist das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder weitgehend gestoppt, so wie bereits im Frühling, als der SARS-COV-2-Erreger sich erstmals über die Welt ausbreitete. Spanien, Frankreich, Belgien, Tschechien, Italien, Großbritannien, Deutschland – die Liste der Länder, die in den letzten Wochen massive Einschränkungen für unser aller Leben eingeführt haben, führt mit wenigen Ausnahmen fast alle Länder des Westens auf.
Als im März Lockdowns erstmals in Erwägung gezogen wurden, sollte die Corona-Politik lediglich für zwei, drei Wochen eingeführt werden. Es ginge immerhin darum, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Sollten die Infektionszahlen unter dem Stichwort flatten the curve erst einmal eingedämmt sein, könnte man wieder zum normalen Leben zurückkehren und über den Sommer hinweg neue Kapazitäten in Spitälern aufbauen, um eine potenzielle zweite Welle an Infektionen im Herbst beherrschen zu können. Ob Lockdowns überhaupt der richtige Weg sind, wurde schon im März und April nicht hinterfragt. Das einzige Ziel, das panisch verfolgt wurde und für das alles gegeben wurde, war, eine Katastrophe zu verhindern, gleich ob die Methode wirksam war. Die Devise der Corona-Politik war „nicht ein zweites Italien werden“ – auch wenn die Umstände in anderen Ländern ganz andere waren.
In den Herbst gehend versprachen Politiker, einen zweiten Lockdown würde es – natürlich – nicht geben. Doch als die Zahlen wieder stiegen, wiederholten sich dieselben Diskussionen. Die Kapazitäten, die man versprochen hatte, über den Sommer aufzubauen, waren immer noch nicht vorhanden, weil es Regierungen wohl aus Versehen verpasst hatten, Krankenhäuser besser auszustatten.
Es gab also wieder „keine Alternative“: Wieder müssten Lockdowns her. Zuerst hieß es, dies wäre nur der Fall, um für uns alle das Weihnachtsfest zu retten – bis das Christkindl uns besuchen würde wäre schon wieder alles unter Kontrolle. Doch bereits nach wenigen weiteren Wochen an Lockdowns wurde auch diese Vorhersage zurückgezogen: Bis März oder April – oder vielleicht noch länger, sollten die Impfstoffe doch nicht so schnell verfügbar oder so wirksam sein wie gedacht – könnte man damit rechnen, dass viele der Regelungen in Kraft bleiben werden, so heißt es heute von vielen Politikern.
Die Gesundheit der Menschen ist ein hohes Gut und es ist ebenso gut und richtig, dass unsere Gesellschaft ihr Bewusstsein dessen in den letzten Monaten bewiesen hat. Das Coronavirus stellte uns vor neuen Herausforderungen, die wir nie wollten, aber mit denen wir aus dem Nichts konfrontiert wurden. Als sich Krankenhäuser füllten und besonders diejenigen in unseren Gesellschaften, die unsere Hilfe am meisten benötigen – Senioren, Einwohner von Alten- und Pflegeheimen und chronisch Kranke – dem unbekannten Virus erlagen, schien es sinnvoll, Maßnahmen einzuführen, die Pandemie soweit möglich zu stoppen.
Doch ist die Corona-Politik, angeführt von einer Diktatur der Epidemiologie, seit Beginn der Krise zu einer schockierenden Demonstration staatlichen Versagens geworden und wird letztlich unser aller Leben dauerhaft negativ verändert haben. Auf der Basis von zweifelhaften Infektionsmodellen, die von Beginn an Katastrophenfälle vorhergesagt haben, die bis heute ausblieben, haben wir einem wie bisher in Friedenszeiten nie gesehenen totalitär agierendem Staat die Allmacht übergeben – oder dabei zugeschaut, wie sich Politiker in vielen Ländern ohne Rückfrage an Parlamente, Landtage oder andere demokratisch-repräsentative Organe die Macht einfach an sich gerissen haben, gleich welcher verfassungsrechtlichen Bedenken über die neuen Kompetenzen für Regierenden dieser Welt.
Die Folgen werden dramatisch sein und aus der heutigen Sicht oft noch nicht vorstellbar, auch wenn erste Zeichen bereits zu erkennen sind. Indem wir in den letzten Monaten nur noch auf einseitige Expertenmeinungen gehört haben, haben wir jeden anderen Bereich der Welt außen vor gelassen.
Die wirtschaftlichen Folgen sind schon jetzt spürbar. Zwar gehen dank massiver staatlicher Hilfen im Moment nicht ganz so viele Unternehmen bankrott, doch werden die Probleme trotzdem enorm zunehmen, sobald die Hilfen einmal enden. Die Arbeitslosigkeit und Zahl von Kurzarbeits-“Beschäftigten“ sind auf Rekordhöhen und man darf schon jetzt sagen, dass der Wirtschaftseinbruch jenen von vorherigen Krisen wie der Finanzkrise von 2007 lächerlich erscheinen lassen werden. Hungernot und Armut breiten sich nach Jahrzehnten der Fortschritte wieder weltweit aus. Die Wohlstandsbasis, die wir und unsere Vorfahren seit dem zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, schwindet mit jedem Tag weiter dahin.
Die Einbrüche in staatlichen Haushalten und dem Finanzsystem werden auch noch Jahrzehnte nachhallen. Schulden sind in die Höhe geschossen und es scheint kein Halt geboten. Es wird immer weiter neues Geld in eine angehaltene Wirtschaft geschossen – all das nach schon einem Jahrzehnt von ultralockerer Geldpolitik, welche die Ersparnisse der Mittelklasse entwertet hat. Wer all das, was Regierungen heute an Geld rauswerfen, einmal zurückzahlen soll, hat die EU mit der Benennung ihres Mega-Konjunkturpakets bereits ungewollt angekündigt: die Next Generation, die nächste(n) Generation(en).
Wären es aber nur die wirtschaftlichen Konsequenzen! Stattdessen werden auch die gesundheitlichen Folgen weitreichend sein. Schon jetzt zeigt sich, wie die Lockdowns zu großen Anstiegen von depressiven Erkrankungen, Suiziden, Einsamkeit und psychischen Problemen führen. Aus Angst vor Ansteckung sinken die Arztbesuche, daher werden weniger Krankheiten diagnostiziert – plötzlich scheint es so, als hätten beispielsweise deutlich weniger Menschen Krebs, was sich aber in den nächsten Jahren noch bitter rächen wird.
Vielleicht am besorgniserregendsten ist jedoch die Aushöhlung unserer demokratischen Institutionen, unserer Freiheiten und unseres sozialen Zusammenlebens. Politiker in Brüssel, Berlin oder Paris reden gerne von der Rechtsstaatlichkeit, von den liberal-demokratischen Institutionen, die zu verteidigen wären. Das stimmt auch: Eine freie Gesellschaft kann nur mit einem funktionierenden Rechtsstaat und das Mitspracherecht der Bürger funktionieren. Die Corona-Krise hat aber all das ausgehebelt und es wurde eine Gesundheits-Diktatur aufgestellt, in der Politiker tun und lassen können, was sie wollen.
Wer hätte noch vor einigen Monaten gedacht, dass einem der Staat vorschreiben könnte, wann man das Haus verlässt oder ob man einen „essenziellen“ Grund dafür hat; ob man seine Freunde und Bekannte treffen kann; ob man selbst nach negativen Corona-Tests über die Landesgrenze fahren könnte oder zuerst in zweiwöchige Quarantäne müsste; ob Kinder – fast nicht betroffen vom Virus – in die Schule gehen „dürfen“; ob man ins Kino, Sport machen, essen gehen, sein eigenes Geschäft öffnen oder, im Moment besonders aktuell, alleine Ski fahren darf?
Rechtsstaat, Demokratie, Freiheit und Verfassungen, die eben jene Institutionen garantieren. All diese Dinge existieren, weil sie, einmal erkämpft, als Institutionen immer zu gelten haben. Weil sie unsere Geburtsrechte sind. Weil man sie uns nicht wegnehmen kann, egal wer wir sind, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche religiösen Überzeugungen wir haben – und auch egal, was im Weltgeschehen gerade vor sich geht. Das sind unsere essenziellen Rechte, die immer gelten müssen – und die der Rechtstaat besonders in Krisen und Notfällen sicherzustellen hat – weil wir sie als Menschen von der Natur, von einer höheren Gewalt oder von Gott ableiten, gleich was Regierungen sagen. Oder so war es zumindest gedacht von den großen Denkern, den Freiheitskämpfern, den Giganten, auf deren Werk wir heute bauen.
Das soll nicht heißen, dass uns das Coronavirus egal sein soll. Als verantwortungsvolle Bürger – nicht als fügige Leibeigene eines paternalistischen Staates – sollten wir auf unsere Mitmenschen achten, sollten wir Situationen, wo großes Risiko für unser aller Gesundheit besteht, meiden und darauf achten, unsere Mitmenschen nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Auch der Staat kann dort je nach Gefahrenlage assistieren. Doch dürfen wir nicht unsere Mitmenschen als Gefährder, als herumgehende infektiöse Corona-Bazillen ansehen. Wir sollten sie als Menschen mit Würde und unangefochtenen Freiheiten und Rechten ansehen, mit einem Gesicht und Charakter unter dem Mundschutz.
Doch besonders sollten wir erkennen, dass auch wenn das Coronavirus eine Herausforderung für uns darstellen mag, man immer einen ganzheitlichen Blick auf das Weltgeschehen bewahren muss. So wie es in dieser Krise epidemiologische Faktoren gibt, die zu beachten sind, so gibt es auch wirtschaftliche, soziale, kulturelle, politische und andere gesundheitlichen Faktoren, die eine Rolle spielen in der Art, wie wir auf unser eigenes sowie gesellschaftliches Leben blicken.
Gerade auf diese anderen Faktoren, die so oft in der panischen Berichterstattung, in dem ständigen, manischen Verfolgen der aktuellen Infektionszahlen, vergessen werden, wollen wir in den kommenden Wochen einen Blick werfen, um andere Sichtweisen auf die Krise zu erlangen und zu zeigen, dass das Mantra des „alles tun, um das Virus zu stoppen, gleich der Kosten“ nicht nur zutiefst irrational, sondern auch zerstörerisch ist.
Diese Pandemie einzudämmen ist eine große Aufgabe für unsere Generation, der wir uns annehmen müssen. Doch wäre es schlimm, würden wir das Virus besiegen, aber hätten wir auf dem Weg dorthin die Welt abgebrannt – und uns ein neues Virus, den Totalitarismus des Allmachtstaats, geschaffen. Gerade das passiert aber im Moment in dieser Welt, die zu einem kollektiven Gefängnis wird.
Was uns der Lockdown kostet:
- Das Ende des Mittelstandes?: 55% der europäischen Klein- und Mittelunternehmen fürchten den Bankrott bis September 2021 (McKinsey)
- Die kommende Hungerpandemie: 135 Millionen mehr Menschen stehen vor dem Hungertod (UN-Welternährungsprogramm)
Kai Weiß ist Vorstandsmitglied des Friedrich A. v. Hayek Institut und wissenschaftlicher Koordinator des Austrian Economics Center.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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