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10.10.2022
Ludwig von Mises (1881-1973), der „Entdecker“ der Ursachen der Inflation

Wolfgang Wein würdigt in diesem Artikel einen der Vordenker der österreichischen Schule - Ludwig von Mises - anlässlich seines Todestags am heutigen 10. Oktober.
Dieser Artikel ist ursprünglich in der Illustrierten Neuen Welt (Ausgabe 2/2022) erschienen. Wir veröffentlichen ihn anlässlich des Todestages von Ludwig von Mises hier wieder.
Ludwig von Mises zählt gemeinsam mit Friedrich von Hayek, welcher 1974 den Nobelpreis erhielt, zu den großen Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Er wurde 1881 in Lemberg, dem heutigen ukrainischen Lwiw in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Sein Großvater war aufgrund von Verdiensten vom Kaiser in den Adelsstand erhoben worden. Er fiel bereits als Kind durch besondere Intelligenz auf, sprach unter anderem Deutsch, Polnisch, Russisch, Französisch und kam nach Wien, wo er am Akademischen Gymnasium maturierte und anschließend Rechtswissenschaften studierte. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er ab 1906 in einer Finanzdirektion und dann ab 1909 in der Finanzabteilung der Handelskammer in Wien. Dies gab Ludwig Mises Gelegenheit, die Gepflogenheiten und Mechanismen in der Finanzpolitik in der Praxis zu beobachten und zu reflektieren.
Entscheidend war dann seine Studie zur Finanztheorie, welche er 1912 in seiner Habilitationsschrift „Theorie des Geldes und der Umlaufmittel“ darlegte. In dieser erläuterte er, dass die Wurzel aller wirtschaftlichen Verwerfungen wie Inflation und Wirtschaftskrisen im Grundübel der Ausweitung der Geldmenge, der Vergabe ungedeckter Kredite (Umlaufmittel) und der Anhäufung immer größerer Schulden besteht. Sie ist nicht dem Kapitalismus per se inhärent, sondern immer Folge verantwortungslosen menschlichen Handelns. Besonders schlagend wurde dieses Problem nach dem ersten Weltkrieg, welcher länger dauerte als ursprünglich geplant und mit seinen riesigen Millionenarmee und neuartigen Waffensystemen bei weitem die tatsächliche Finanzkraft der kriegführenden Staaten überstieg. Diese versuchten mit allen Mitteln die immensen Kosten abzudecken, verschuldeten sich jedoch immer tiefer. Mit dem Drucken von Geld sollte die gesamte Last auf spätere Zeiten verschoben werden, wenn, so hoffte man, der Krieg einmal gewonnen wäre. Ludwig Mises durchschaute, dass es eben diese chronische Verschleierung und Verschiebung der angehäuften Schulden war, welche über die Zeit zu den schlimmen Konsequenzen führen musste. Denn solange der bestehenden Geldmenge eine korrespondierende Menge an Waren gegenüberstand, gab es kaum Inflation. Sobald aber immer mehr Geld gedruckt wurde und Kredite ohne ausreichende Deckung vergeben wurden, hingen alle an dem „süßen Gift“ während aber die Warenproduktion nur langsam Schritt hielt. Kamen dann noch Behinderungen der Warenbereitstellung durch Krieg und Konflikte hinzu, nahm die Inflation Fahrt auf und war nicht mehr einzudämmen. Da die Menschen diese tieferen Ursachen der Inflation nicht durchschauten, wurde die Schuld, gerade von jenen, welche die Schuldenpolitik zuvor betrieben hatten, auf „Preistreiber“ und „jüdische Wucherer“ geschoben, welche dann zum Sündenbock wurden. Gleichzeitig bewirkte die Ausweitung der Geldmenge und Schulden, dass die Preise als verlässliche Indikatoren der Wirtschaft versagten. Denn wenn der Preis einer Ware in einem intakten Wirtschaftssystem steigt, dann informiert dies die Produzenten, dass die Nachfrage steigt. Wenn aber immer mehr Geld im Umlauf ist, dann werden diese Signalmechanismen der Ökonomie verzerrt, ebenso, wenn konkursreife Unternehmen künstlich am Leben erhalten werden oder wenn die Regierungen kontinuierlich Eingriffe unter Vergrößerung der Schuldenlast vornehmen. Das hilft zwar kurzfristig und führt zu einem „Stimulus“, so Mises, aber auf lange Sicht führt es eben unausweichlich zum Katzenjammer der Krise. Als Ursache all dieser Verwerfungen identifizierte Ludwig Mises die ständige Einflussnahme der Zentralbanken und Regierungen, welche mittels Senkungen des Zinssatzes, Aufblähung der Kredite und der Geldmenge den rational-evolutionären Verlauf der kapitalistischen Ökonomie verzerrten und sich gleichzeitig Wählergunst zu erkaufen versuchten.
Mit dieser Einsicht ausgestattet kehrte Ludwig Mises, der als Offizier seinen Kriegsdienst geleistet hatte und mehrfach ausgezeichnet worden war, nach Wien zurück. Zunächst gelang es ihm 1918, in langen Diskussionen seinen Kommilitonen Otto Bauer, den Führer der Sozialdemokratie, zu überzeugen, dass ein gewaltsamer Umsturz wie in Ungarn und Bayern zu einer wirtschaftlichen Katastrophe für das neuentstandene Österreich führen würde. Aufgrund seiner Expertise im Finanzwesen wurde Mises bald Berater der jungen österreichischen Regierung, welche mit der katastrophalen Inflation der frühen 20er Jahre konfrontiert war. Er war führend an der Reorganisation der Nationalbank und der Einführung des Schillings 1924/25 beteiligt, welcher am Goldstandard orientiert war und wegen seiner Stabilität als „Alpendollar“ bezeichnet wurde. 1927 gründete Mises mit seinem Schüler Friedrich von Hayek das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).
Die ökonomischen Überlegungen von Ludwig Mises waren philosophisch-wissenschaftlich am vernunftbasierten Werk Immanuel Kants orientiert, wobei er Kants „a priori“ folgte, d. h. der Einsicht, dass es in unserem Denken logische Muster gibt, welche immer (von vornherein) gelten und mit welchen wir unsere Ordnung des Denkens in die mannigfaltigen Beziehungen und Verknüpfungen der Welt bringen. In seinem Menschenbild folgte Ludwig Mises sowohl dem Utilitarismus John St. Mills, dass es dem Individuum immer um die Optimierung der Glücksgefühle geht als auch Immanuel Kant, für den das selbstbestimmte und autonom handelnde Individuum im Mittelpunkt seiner praktischen Philosophie stand. Aus diesem Grund wurde er zu einem entschiedenen Gegner aller totalitären Systeme, welche er unter dem Begriff „Kollektivismus“ zusammenfasste, weil sie in all ihren Aspekten immer darauf hinauslaufen, die Freiheit des Individuums einzuschränken und schleichend alle Lebensbereiche immer stärker zu reglementieren. So wurde er einer der Begründer des Liberalismus, also der Überzeugung, dass der wirtschaftliche Fortschritt und das freie Gestalten der Menschen, basierend auf Ideen und rationalem Handeln die bestmögliche Lebensform ist und dass die auf Rationalität basierende Wirtschaft, also das kapitalistische Wirtschaftssystem, das einzige ist, welches diese Ziele real verwirklichen kann. Aus diesem Grund war er auch ein entschiedener Gegner von Imperialismus und Krieg. 1927 legte er seine Gedanken hierzu in dem legendären Klassiker Liberalismus dar, in welchem er auch erläuterte, warum ein liberal-rationales Wirtschaftssystem nur in einer Demokratie funktionieren kann.
Besondere Sorgen bereitete ihm die damals rasch um sich greifenden sozialistischen und kommunistischen Bewegungen. Er unterzog daher das gesamte theoretische Gebäude des Marxismus einer in dieser Genauigkeit vorher und später nie erreichten Analyse in seinem Werk Die Gemeinwirtschaft (1922), englisch: Socialism (1951), in welchem er Punkt für Punkt alle gängigen und immer wieder tradierten Thesen, Phrasen, Publikationen und Mythen der marxistischen Theorie mit wirtschaftswissenschaftlicher Präzision widerlegte. Er zeigte auf, dass jede Form von Planwirtschaft und dirigistischen Eingriffen zum Scheitern verurteilt ist, weil es nie zu einer sinnvollen Wirtschaftsrechnung kommen kann und auch die besten Planer niemals das hochkomplexe Gewebe einer Wirtschaft in allen Aspekten vorhersagen und von oben dirigieren können. Zusätzlich zeigte von Mises, dass der ständige Versuch der dirigistischen Lenkung der Ökonomie gleichzeitig zu einer beständigen Gängelung der Individuen und einer zunehmenden Tendenz zur Regulierung aller Lebensbereiche führen muss. Er machte sich mit diesem Werk vor allem unter den begeisterten linken Intellektuellen seiner Zeit äußerst unpopulär und zum Ziel wütender Angriffe und Kontroversen und da er im großen Recht behielt, ist er auch heute wieder Ziel polemischer Angriffe geworden. Mises scheute aber nie den Konflikt und folgte nur seinem messerscharfen Intellekt und seiner tiefen Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Angebote auf Vorstandsjobs in großen Banken schlug er aus, da diese nicht gewillt waren, seine unpopulären Ratschläge umzusetzen.
Da er an der Universität Wien nur als unbezahlter Dozent lehren konnte und wegen seiner jüdischen Abstammung keine Chance auf eine ordentliche Professur sah, führte er bis 1934 sein eigenes „Seminar“ in der Handelskammer, welches große Berühmtheit erlangte und eine bedeutende Zahl führender Geister seiner Zeit versammelte. Teilweise überschnitten sich die Teilnehmer auch mit jenen von Friedrich von Hayeks Geistkreis (siehe: Der Geistkreis, INW Nr. 3/2020) darunter Gottfried Haberler, Oskar Morgenstern, Fritz Machlup und Paul Rosenstein-Rodan, welche nach ihrer Emigration in die USA bedeutende Funktionen als Wirtschaftsexperten innehatten und natürlich Hayek selbst. 1934 übersiedelte er nach Genf an die Hochschule für internationale Studien, was auch der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und dem zunehmend illiberalen Klima in Österreich geschuldet war. Dort verfasste er sein zentrales Werk Nationalökonomie – Theorie des Handelns und Wirtschaftens, in welchem er versuchte, die Theorie der österreichischen Schule der Nationalökonomie zusammenzufassen. Damit schrieb er allerdings gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise gegen den Trend der Zeit, denn die meisten Regierungen folgten damals der Theorie von John Maynard Keynes, welche Empfahl, durch deficit spending in die Konjunkturkrisen einzugreifen und über die Zeit zu einer global ausgleichenden Steuerung der Wirtschaft zu gelangen. Dies war natürlich genau konträr zu den Ansichten von Ludwig Mises, wurde aber bis in die 1970er Jahre zur führenden Wirtschaftstheorie. Als 1940 die Lage in Europa immer beängstigender wurde, gelang es Ludwig Mises mit seiner Frau Margit Sereny-Herzfeld auf abenteuerliche Weise durch das bereits teilweise besetzte Frankreich zu flüchten und gelangte schließlich in die USA, wo der bereits Sechzigjährige eine Professur in New York erhielt, aber in der Atmosphäre des New Deals kaum Beachtung fand. Er publizierte unverdrossen seine Theorie in dem Band Human Action und 1944 seine Schrift über das Wesen der Bürokratie, in welchem er die mangelnde Produktivität bürokratischer Systeme erläuterte. Zusätzlich zu ihrer eigenen Behäbigkeit zwängen sie durch die ständige Ausweitung von Regularien und Vorschriften auch die Unternehmen, immer mehr unproduktive Ressourcen zur Implementierung der wuchernden Regularien einzusetzen.
Nach 1945 waren auch von Ludwig Mises Lehre beeinflusste Liberale wie Wilhelm Röpke, Walter Eucken und Alexander Rüstow treibende Kraft der Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. In den 1980er Jahren begann der Wirtschaftsliberalismus dann generell im freien Westen wieder als Neoliberalismus an Akzeptanz zu gewinnen und wurde nach dem von Mises vorhergesagten Untergang des „realen Sozialismus“ in den folgenden Dekaden zur führenden Wirtschaftstheorie. In den Ludwig von Mises Instituten werden seine Theorien und Gedanken nach wie vor diskutiert, weiterentwickelt und publiziert. Ludwig Mises selbst hatte noch in den 60er Jahren in gut lesbaren Vorträgen (z.B. Der freie Markt und seine Feinde: Pseudowissenschaft, Sozialismus und Inflation) seine Ansichten dargelegt, welche sich meist im diametralen Gegensatz zu den gängigen Ansichten befanden. Auf das oft gehörte Argument, dass die Konzerne die Macht hätten, erwiderte Ludwig Mises: Im Gegenteil! Es haben die Konsumenten die Macht. Wenn sie ein Produkt nicht mehr wollen oder andere Produkte besser finden, ist der Konzern verloren! Er muss daher immer danach trachten, die besten Produkte zu liefern, um nicht zugrunde zu gehen. Auf das oft gehörte Argument, dass die Massen im Kapitalismus verarmen, antwortete er: Im Gegenteil! Niemals ist es allen Menschen weltweit immer besser gegangen, sogar jenen, denen es noch weniger gut geht! Als er einmal bei einer Konferenz der neoliberalen Mont Pèlerin Society anderer Meinung als die meisten Teilnehmer war, stürmte er wutentbrannt aus dem Saal und rief: „Ihr seid alle Sozialisten!“. Bis zu seinem Tod 1973 in New York publizierte Ludwig Mises weiter Schriften zu Nationalökonomie und Soziologie. Nach Österreich wollte er offensichtlich nicht mehr zurückkehren.
Auch wenn aus heutiger Sicht so manche seiner Thesen überzogen erscheinen und man manches Argument nicht teilen möchte, so hat ihm die Geschichte nachträglich doch in vielem Recht gegeben: alle realen sozialistischen Systeme, bis auf wenige Nachzügler, sind wie Mises bereits 1922 einsam prophezeite, zugrunde gegangen und auch die Produktivität der Welt, die Lebenserwartung der Menschen, die Bildung und alle anderen wesentlichen Parameter haben sich weltweit seit der Entstehung des kapitalistischen Wirtschaftssystems nachhaltig verbessert. (siehe Diagramm: Our World in Data – World GDP 1820-2018). Und die liberale, westliche Welt muss sich aktuell verteidigen gegen den Angriffskrieg einer diktatorischen, undemokratischen, anti-liberalen Macht.

Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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