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Nebenwirkungen von Regulierungen: Was wir seit 1989 vergessen haben

Jean-Philippe Delsol

von Jean-Philippe Delsol, Anwalt und Präsident des Institut de Recherches Economiques et Fiscales, IREF

 

Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde die Welt freier. Zumindest hat der Welthandel dramatisch zugenommen, da Zölle und regulatorische Handelshemmnisse gefallen sind. In diesem Zeitraum und als Ergebnis dieser Handelsliberalisierung ist die extreme Armut erheblich zurückgegangen, von 40 % der Weltbevölkerung auf weniger als 10 %.

Die Anschläge vom 11. September 2001 und die Subprime- und Lehman-Brothers-Krise von 2008 haben jedoch bereits das Vertrauen erschüttert, und diese Ereignisse waren eine Gelegenheit, die Marktwirtschaft in Frage zu stellen – zu Unrecht. Gleichzeitig war die globale Erwärmung in den letzten zehn Jahren ein weiterer Vorwand für die Kollektivierung der Gesellschaft, der Staat fühlte sich und wurde berufen, die Produktions- und Konsumprozesse immer weiter zu regulieren. Die Masseneinwanderung und die weltweite Ausbreitung des Terrorismus, insbesondere des islamischen Terrorismus, haben den Staaten die Möglichkeit gegeben, im Namen der Sicherheit Maßnahmen zu setzen, die die Freiheiten einschränken. Die Covid-Krise war der gesundheitliche Zünder, der es den Staaten ermöglichte, eine noch umfassendere Kontrolle über die Gesellschaft zu rechtfertigen. Nahezu die gesamte Welt, die noch nie so sehr darauf bedacht war, die Zahl der Todesfälle während einer Epidemie zu limitieren, nutzte sie als Hebel, um die staatliche Macht auszuweiten. In vielen Ländern, vor allem aber in Frankreich, erklärte der Staat dem Virus den Krieg und etablierte den Ausnahmezustand. Auf diese Weise sewtzte er eine Vielzahl von Maßnahmen durch, die eine Einmischung in das Leben von Familien und die Organisation von Unternehmen darstellen, die die Freizügigkeit und die Arbeit reglementieren, den Handel einschränken, die über unsere Gesundheitsversorgung entscheiden, die die Ausübung unseres Glaubens betreffen ….

Welche Freiheit haben wir noch?

Mit der Pandemie hat der Staat eine Grenze überschritten, an die er sich vorher nicht heranwagte. Er schreibt nicht nur eine Maskenpflicht in Büros, Werkstätten, Schulen und auf Baustellen vor, es sei denn, genau festgelegte Ausnahmen sind anwendbar, sondern er schreibt auch vor, was im Freien, in Versammlungsräumen, auf Verkehrsflächen, in Kantinen, Umkleideräumen usw. zu tun ist. Er verpflichtet uns Masken auf der Straße und im öffentlichen Raum zu tragen, begrenzt die Anzahl der Personen, die in unseren Wohnungen gemeinsam zu Mittag essen dürfen.  Er erzwingt Abstand in der Kirche und im Kino, aber nicht im Zug!

Freiheit wird zur Ausnahme. Ein freies Land ist eines, in dem alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist. Ein totalitärer Staat ist ein Staat, in dem alles, was nicht erlaubt ist, verboten ist. Der Virus führt uns zur zweiten Definition.

Die Ausnahme wird zur Regel

Außergewöhnliche Ausgaben werden zur Normalität, ebenso wie die unendlichen Einschränkungen, die sie begleiten. Das Unnormale wird zur Normalität und wird von denen, die nach Arbeitsfreistellung verlangten, als solche akzeptiert. Viele von ihnen werden mit fast so viel Geld kompensiert, als ob sie arbeiten würden, aber mit viel weniger Aufwand. So wurde die freiwillige Knechtschaft eingeführt, die voraussetzte, dass sich die Untertanen an die Forderungen des Fürsten gewöhnen und diese zu ihrem kleinen Glück erklärten.

Die Ausnahmebudgets haben die Ausgaben dramatisch steigen lassen, und es wird schwierig, sie auf ihr früheres Niveau zu senken. Denn es ist unendlich viel schwieriger, Ausgaben zu senken als sie zu erhöhen! Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die ehemaligen osteuropäischen Länder erkannt, dass es unermesslich komplizierter ist, aus der kommunistischen Bouillabaisse wieder einen Fischteich zu machen, als aus dem Fischteich eine Suppe zu kochen, wie es die Kommunisten getan hatten. In Frankreich machen die öffentlichen Ausgaben nach den offiziellen Zahlen des INSEE (der staatlichen Behörde, die Wirtschaftsdaten und Statistiken veröffentlicht) im Jahr 2020 zwei Drittel des BIP aus (66,8 %). Sie werden wahrscheinlich noch lange Zeit auf einem hohen Niveau bleiben. Der Umfang des Ausgabenanstiegs hat neben der quantitativen auch eine qualitative Wirkung, die das Wesen der Gesellschaft verändert. Ab einer bestimmten Schwelle der öffentlichen Ausgaben, die Frankreich möglicherweise schon erreicht hat, wird das Land kollektivistisch.

Und das Schlimmste kommt erst noch, denn die Staaten geben Geld aus, ohne das nötige Geld dafür zu haben. Also verschulden sie sich in der Hoffnung, dass sie die Schulden nicht zurückzahlen müssen. Aber die Nichtbezahlung ihrer Schulden kostet immer mehr als die Rückzahlung, in Form von Inflation oder Vertrauensverlust bei den Kreditgebern. Man hofft, dass das Wachstum ausreichen wird, um die Schulden zu tilgen, aber es steht zu befürchten, dass die Tilgung durch erhöhte Steuern finanziert werden muss.

Europa zentralisiert

Um Verantwortung auf nationaler Ebene zu umgehen, organisieren die europäischen Staaten die Rettungspläne auf europäischer Ebene. Dies ist eine zusätzliche technokratische Ebene, die den operativen Charakter der Entscheidungen untergräbt und die Verantwortlichkeiten bis zu dem Punkt verwässert, an dem niemand mehr für die durchgeführten Programme verantwortlich ist, sei es für den Kauf von Impfstoffen oder die einzuhaltenden Gesundheitsvorschriften. Die Finanzierung scheint vor allem ein Mittel für die Kommission zu sein, sich in die Politik der Nationalstaaten einzumischen, indem sie die Gewährung der europäischen Beihilfen an verschiedene und vielfältige Bedingungen knüpft, die eine Einmischung in die Souveränität der Staaten darstellen, was den Regeln der Subsidiarität widerspricht, die für die EU gelten sollten. Im Gegenzug nutzt jeder Staat die Gelegenheit der Gesundheitskrise, um zu zentralisieren, wie es Deutschland getan hat.

Staaten erpressen

Und die Staaten wiederum gewähren Unternehmen Beihilfen unter der Bedingung, dass sie sich neuen ökologischen, sozialen und finanziellen Forderungen unterwerfen… Wer sich nicht daran hält, sagt der Staat, bekommt keine Hilfe. Das ist Erpressung. Der Staat gibt Unternehmen Darlehen oder bürgt für sie, und wenn sie diese nicht zurückzahlen können, beschlagnahmt der Staat ihr Kapital. Die Steuerung der Unternehmen wird auf heimtückische Art und Weise der Technokratie übertragen. Es ist eine Kollektivierung ohne Verstaatlichung.

Korruption wird wahrscheinlicher

Das Wachstum der Bürokratie nährt die Kanäle der Korruption. Wenn Stempel und Siegel für eine Entscheidung nötig sind, dann wird es immer Bürokraten geben, die sich dafür bezahlen lassen – das lehrt uns die Geschichte. Es gibt also eine Gesetzmäßigkeit, dass umso mehr Vorschriften es gibt, je mehr Beamte es gibt, desto größer ist die Gefahr der Korruption, da nichts ohne die Zustimmung des einen oder anderen getan werden kann. Die Gefahr der Korruption hat sich in Deutschland gezeigt, wo mehrere Abgeordnete und ein Minister auf frischer Tat beim Maskenhandel ertappt wurden.

Ist Rückschritt Fortschritt?

Je mehr Beamte es gibt, desto mehr werden sie ausgeben, desto mehr steigen die Kosten des Staates, desto höher ist die Belastung der Steuerzahler, und je mehr die Gesellschaft davon abgehalten wird, unternehmerisch zu sein, desto ärmer wird das Land oder desto weniger wird es reich. Ein Teufelskreis, der nur im Zusammenbruch oder Kollaps enden kann. Die Ökologen plädieren für Degrowth, und die Gesundheitskrise zwingt zur Untätigkeit. Ein historischer Rückschritt bahnt sich an. In Frankreich sind die Wölfe mit der von ihnen verursachten Unsicherheit wieder auf dem Lande, die Windturbinen wachsen wie die Windmühlen der Vergangenheit, Autos werden zugunsten von Fahrrädern verboten, an den regionalen Grenzen werden Mautgebühren für schwere Lkw eingeführt, die den Handel belasten werden…

Totalitarismus, oder?

Die Politiker glauben, Gutes zu tun, Gutes für uns, wahrscheinlich in gutem Glauben. Sie entscheiden für uns. Sie machen es sogar noch besser, indem sie „die Menschen“ dazu bringen, das zu wollen, was sie wollen. Sie haben die Angst, die Panik erzeugt, die einen Großteil der Bevölkerung dazu gebracht hat, sich selbst abzuschotten und vom Coronavirus gerechtfertigt, nicht zu arbeiten. Aber vielleicht finden unsere Verantwortlichen auch ein gewisses Vergnügen oder ein klares Interesse daran. Denken Sie darüber nach, sie rechtfertigen sich auf diese Weise, sie sorgen dafür, dass die Menschen sie brauchen und wissen – vielleicht!- wie es gedankt wird. Es ist die perfekte Gelegenheit, das durchzusetzen, was sie für richtig halten, was immer noch ein Zeichen von Totalitarismus ist.

Der französische Essayist Alexis de Tocqueville ahnte die gegenwärtige Situation voraus[1]

Was ist zu tun?

Wir müssen diesem paternalistischen Etatismus widerstehen. Der einzige Weg, den Widrigkeiten zu begegnen, besteht darin, das verrückte Verlangen wiederzuentdecken, für sich selbst zu leben, genauso wie die italienische Renaissance nach der Geißel eines Jahrhunderts großer Seuchen, so wie das 19. Jahrhundert des industriellen Fortschritts nach der Revolution und den verheerenden napoleonischen Kriegen, so wie Frankreich, das nach der Niederlage von 1870 in zwei Jahren seine Kriegsschuld gegenüber Preußen begleichen musste… Deutschland hat sich nach 1945 nicht dank amerikanischer Gelder erholt, auch wenn diese vielleicht geholfen haben, sondern durch die Energie und das Verlangen der Deutschen, zu vergessen und wieder aufzubauen. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Freiheit nur durch Anstrengung und Arbeit, durch Innovation und Offenheit wiedererlangen.

Unsere größte Ressource ist nicht die Schatzkammer der EZB, sondern die Menschheit mit ihrem unermesslichen und unschätzbaren Reaktions- und Erfindungsvermögen, mit ihrem eigenen ungeheuren intellektuellen, emotionalen und geistigen Reichtum… Deshalb müssen wir, um diesen Kampf gegen die Misere zu gewinnen, jedem die Grundfreiheiten zurückgeben, um sich zu engagieren, innovativ zu sein, einzustellen und zu entlassen, zu mieten und zu pachten, zu verkaufen und zu kaufen, zu importieren und zu exportieren. Wir müssen verhindern, dass Arbeit, Anstrengung, Kreativität, Investitionen und Ersparnisse durch überhöhte Sozial- oder Regulierungsabgaben behindert werden und erstarren. Nur mit diesem Befreiungsplan können wir die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Virus und der Abriegelung schnell überwinden und diese Widrigkeiten in einen Sieg verwandeln.

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[1] “Über sie erhebt sich eine unermessliche Macht der Vormundschaft, die die Verantwortung für ihr Glück und ihr Schicksal an sich nimmt. Sie ist absolut, detailliert, beständig, weitblickend und mild. Sie würde einer väterlichen Macht ähneln, wenn sie wie diese den Zweck hätte, die Menschen auf das Mannesalter vorzubereiten; aber im Gegenteil, sie will sie nur unwiderruflich in der Kindheit festhalten; sie will, dass die Bürger sich vergnügen. Sie arbeitet gern für ihr Glück; aber sie will der einzige Vermittler und der einzige Schiedsrichter dessen sein; sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht ihre Bedürfnisse voraus und sichert sie, erleichtert ihre Vergnügungen, lenkt ihre wichtigsten Angelegenheiten, lenkt ihre Industrie, regelt ihren Besitz, teilt ihr Erbe auf; kann sie ihnen nicht die Mühe des Denkens und den Schmerz des Lebens ganz abnehmen?“

So breitet der Souverän, nachdem er jedes Individuum abwechselnd in seine mächtigen Hände genommen und nach Belieben geknetet hat, seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes aus; er überzieht ihre Oberfläche mit einem Netz kleiner, komplizierter, mühsamer, gleichförmiger Regeln, durch die sich die originellsten Köpfe und die kraftvollsten Seelen keinen Weg bahnen können, um aus der Menge zu ragen; er bricht nicht den Willen, aber er erweicht ihn, beugt ihn und lenkt ihn; er zwingt kaum jemanden zu Handeln, aber steht beständig entgegen jedermanns Handeln; er zerstört nicht, er verhindert das Entstehen von Dingen; er tyrannisiert nicht, er behindert, kompromittiert, entnervt, löscht aus, betäubt und reduziert schließlich jedes Volk zu nichts anderem als zu einer Herde ängstlicher und fleißiger Tiere, deren Hirte die Regierung ist.

Ich habe immer geglaubt, dass diese Art von geregelter, milder und friedlicher Knechtschaft, deren Bild ich soeben gemalt habe, besser als man sich vorstellt, mit einigen äußeren Formen der Freiheit kombiniert werden könnte, und dass es nicht unmöglich wäre, sie im Schatten der Volkssouveränität zu errichten”.(Tocqueville, De la démocratie en Amérique, t. II, IVe partie, Chap. VI).

 

Sehen Sie hier Jean-Philippe Delsols Vortrag im englischen Original:

 

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