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27.04.2015
Putins Gas-Rochade

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Putins Gas-Rochade
Das South-Stream-Projekt ist tot. Trotzdem möchte Gazprom die Turkish-Stream-Pipeline bis Griechenland verlängern. Welche neue Strategie verfolgt Putin?
von Raoul Sylvester Kirschbichler
Die Hiobsbotschaft wurde sehr zurückhaltend formuliert. Es bestand auch überhaupt kein Grund ins Detail zu gehen, denn alle Fakten waren hinlänglich bekannt. Vladimir Putin musste nur noch darauf hinweisen, dass beim Bau der South Stream Pipeline alle Beteiligungen neu überdacht werden müssen und jeder im Saal wusste sofort, dass das South Stream Prestigeprojekt unter der Führung von Gazprom der Vergangenheit angehört.
Die wettbewerbsrechtlichen Vorgaben der EU-Kommission lassen sich nicht mit den Zielen Putins vereinbaren: Mit South Stream wollte er die Europäer über Langfrist-Verträge dauerhaft an russisches Gas binden. Gazprom investierte bereits 3 Mrd. Euro in das South Stream Projekt und sollte künftig die gesamte Wertschöpfungskette beherrschen: Geplant war, dass ab 2016 jährlich 63 Milliarden Kubikmeter russisches Gas rund 34 Millionen europäische Haushalte mit Energie versorgen.
Ein Drittel des in Europa benötigten Gases kommt aus Russland, knapp die Hälfte erreicht die EU-Staaten über die Ukraine. Mittlerweile hat Brüssel aus dem Ukraine-Konflikt seine Lehren gezogen: Die Europäische Union wird sich neu orientieren müssen, möchte sie irgendwann von russischem Gas unabhängig(er) sein. Auch das North-Stream-Projekt ist in russischer Hand. Und norwegisches Öl bzw. Gas allein kann Europas Bedarf nicht abdecken.
South Stream sollte langfristig die Abhängigkeit von der unsicheren, aber zentralen Transitroute durch die Ukraine reduzieren, sie irgendwann vielleicht sogar überflüssig machen. Um sich aber andererseits nicht noch mehr dem Gas-Giganten Gazprom auszuliefern, beharrte Brüssel auf die Einhaltung eindeutiger Wettbewerbsbestimmungen für das South Stream-Pipeline-Projekt.
Die Entflechtungsvorschriften
Auf dem liberalisierten Energiemarkt Europa darf niemand eine so dominante marktbeherrschende Position einnehmen, dass konkurrierenden Unternehmen Nachteile entstehen. Auf den Gassektor umgelegt bedeutet das: Ist ein Energieversorger gleichzeitig Netzbetreiber, besteht für ihn die Möglichkeit, seine Energie günstiger oder sogar kostenfrei durchzuleiten. Anderen Energieversorgern könnten daraus Wettbewerbsnachteile entstehen.
An dieser Stelle greifen die Entflechtungsvorschriften (Englisch: unbundling*) der Europäischen Union, die Diskriminierungen, Quersubventionierungen und andere Wettbewerbsverzerrungen verhindern und somit gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer herstellen: Der Pipeline-Betrieb muss demnach auf europäischem Boden unabhängig vom Gasproduzenten organisiert werden. Eine Pipeline muss außerdem als „natürliches Leitungsmonopol“ auch Dritten diskriminierungsfrei zur Nutzung überlassen werden.
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* Unbundling is the separation of energy supply and generation from the operation of transmission networks. If a single company operates a transmission network and generates or sells energy at the same time, it may have an incentive to obstruct competitors‘ access to infrastructure. This prevents fair competition in the market and can lead to higher prices for consumers.
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Ein Machtpolitiker wie Vladimir Putin, der 4,5 Prozent von Gazprom besitzt, lässt sich von der EU-Kommission keine Vorschriften diktieren. Deswegen hat er das Projekt South Stream kurzerhand gestoppt, obwohl der Röhrenbau bereits seit Monaten auf Hochtouren läuft. Zu erwarten sind nun langwierige Gerichtsverfahren und hohe Regressionsforderungen des italienischen Energieversorger Eni (20 Prozent Beteiligung am South Stream Projekt), von Frankreichs EdF und von der BASF-Tochter Wintershall, die zu je 15 Prozent an South-Stream beteiligt waren.
Genau genommen ist Putin aber glücklich, eine Chance bekommen zu haben, ohne großem Gesichtsverlust South Stream ad acta legen zu können. Denn finanziell ließ sich das Pipelineprojekt schon lange nicht mehr rechtfertigen. Die Kosten explodierten von veranschlagten 15,5 auf rund 23,5 Milliarden Dollar. Das von Gazprom zur Hälfte mitfinanzierte Teilstück unter dem Schwarzen Meer ist in dieser Kostenprognose noch gar nicht berücksichtigt. Zudem hat der Ukraine-Konflikt mitsamt den EU-Sanktionen zu einem Gewinneinbruch von fast 25 Prozent bei Gazprom geführt. Russland sei einfach gezwungen gewesen, das Projekt aufzugeben, weil es Gazprom aufgrund der Sanktionen nicht mehr gelungen sei, sich die Unterstützung durch die westlichen Kreditgeber zu sichern, analysierte die „Financial Times“.
Die Doppelstrategie
Westeuropa wird sich sein Gas künftig an der türkischen Grenze abholen müssen. Denn Putin möchte die Türkei zum südeuropäischen Drehkreuz für Erdgas (Gas-Hub) ausbauen. Mit 26,7 Milliarden Kubikmeter ist die Türkei hinter Deutschland (41 Milliarden Kubikmeter) der zweitgrößte Abnehmer für russisches Gas. Über Turkish Stream, einer neuen Schwarzmeer-Pipeline, sollen ab 2017 geschätzte 63 Milliarden Kubikmeter Gas in die Türkei gelangen. Vielleicht sogar bis Griechenland? Nach seinem Moskau-Besuch begrüßte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras den mächtigen Gasprom-Chef Alexej Miller zu Vieraugengesprächen in Athen.
Überlegt Putin ernsthaft Turkish Stream durch Griechenland hindurch zu verlängern? Ein solcher Vorstoß passt nicht zu seinem angekündigten Rückzug vom europäischen Markt, denn der letzte Teil der Pipeline würde dann wieder den EU-Wettbewerbsbedingungen unterliegen. Oder handelt es sich um eine Putin´sche Doppelstrategie: Einerseits möchte er die EU noch tiefer spalten indem er Griechenland aus dem Euro-Bündnis heraushilft, andererseits soll Europa weiterhin von russischem Erdgas abhängig bleiben. Putin selbst überwacht weiterhin den Gashahn.
Die Griechen brauchen dringend Geld, das von Brüssel nur zu bekommen ist, wenn endlich eine Liste mit detaillierten Reformvorhaben vorgelegt wird. Ein Energieabkommen mit Russland in Milliardenhöhe klingt aber vielversprechender und zukunftsorientierter: Griechenland soll sich an der Pipeline Turkish Stream beteiligen, mit der Russland ab 2019 Gas in Richtung Europa transportieren will. Im Gegenzug hofft die griechische Regierung auf einen Vorschuss von drei bis fünf Milliarden Euro. Um so schnell wie nur irgendwie möglich an Geld zu kommen hat die griechische Regierung den Russen auch die Teilnahme an der Erschließung von Schelf-Lagerstätten für Öl und Gas angeboten.
Letztendlich haben die Griechen mit Gazprom aber nur die Gründung eines Konsortiums zum Bau der Pipeline beschlossen, das in erster Linie aus europäischen Firmen bestehen wird. Überraschend kam die Ankündigung von Gazprom Chef Alexej Miller, „dass beim Pipelinebau alle europäischen Vorschriften eingehalten werden.“
Putins verlängerter Arm
Die Europäer zählen zu den wichtigsten Gazprom-Kunden, weil sie viel höhere Gaspreise zahlen als die Chinesen, Russen oder Türken. Ab 2019 soll durch die sogenannte Trans-Adria-Pipeline (TAP) Gas vom Kaspischen Meer über die Türkei und Griechenland bis nach Italien gepumpt werden – vorbei an Russland. Die TAP-Kapazitäten könnten im Ernstfall relativ schnell erhöht werden. Eine Abzweigung durch Albanien garantiert, dass künftig auch osteuropäische Staaten mit dem Brennstoff aus dem kaspischen Gasfeld Shah Deniz II versorgt werden können.
Gazprom befürchtet mit Europa seinen zahlungskräftigsten Kunden zu verlieren. Plötzlich, so scheint es, sind die EU-Richtlinien kein unüberwindbares Hindernis mehr. Zudem: Der Gashahn war schon immer der verlängerte Arm der Putin´schen Außenpolitik. Er wird wirkungslos, sollte Europa eines Tages tatsächlich ohne russisches Gas auskommen können.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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