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Wir müssen wieder Mauern niederreißen

von Kai Weiß

Dieses Jahr ist zweifellos ein besonderes für alle Verteidiger der Freiheit. Dieses Jahr sind es 30 Jahre seitdem am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel. Mit ihr schwand jegliche Überzeugung, dass das jahrzehntelange kommunistische Experiment auf der Ostseite der Mauer ein Erfolg sein könnte. Der Kommunismus war von vornherein zum Scheitern verurteilt, aber der Fall der Mauer und die Bilder der Ost- und Westdeutschen, die sich nach Jahrzehnten der Teilung in die Arme fallen konnten, waren die letzten symbolträchtigen Nägel im Sarg für das Sowjetimperium.

Bis zum Jahrestag des Mauerfalls sind es noch ein paar Monate. Doch ein signifikanter Moment im Vorfeld fand zwei Jahre heute statt, am 12. Juni 1987. Die Sowjetunion wackelte zu dem Zeitpunkt schon beträchtlich und Michail Gorbatschow, der neue Generalsekretär der Kommunistischen Partei, hatte seine ersten Quasi-Liberalisierungsreformen gestartet, in einem verzweifelten Versuch die zerfallende Sowjetunion doch noch vor ihrem Untergang zu bewahren. Trotz alledem stand sie, die Mauer, noch immer da und teilte Europa.

Der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan hatte bereits früher dafür argumentiert, dass die Mauer verschwinden sollte, so unter anderem bei einem Besuch in Berlin im Jahre 1982. Fünf Jahre später, am 12. Juni 1987, drückte Reagan sich dann besonders deutlich aus, als er bei einer Rede vor der Mauer Gorbatschow zum Abriss der Mauer aufforderte:

„Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie Frieden suchen, wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und Osteuropa suchen, wenn Sie Liberalisierung suchen, kommen Sie hier zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“

Seit 1961 spaltete die Mauer einen Kontinent, riss Freunde und Familien auseinander. Noch schlimmer aber, sie sperrte hunderte Millionen Menschen in ein Freiluftgefängnis, geführt von einem autoritären Regime. Die Mauer war so, wie von Reagan angemerkt, nicht nur „eine Einschränkung der Reisefreiheit“, sondern viel eher ein „Instrument, um einfachen Bürgern den Willen eines totalitären Staates aufzuzwingen.“

Der Unterschied zwischen freier und unfreier Welt, oder in wirtschaftlichen Ausdrücken, der größtenteils kapitalistischen und der größtenteils sozialistischen Welt, ist eindeutig: Die westlichen Gesellschaften steigerten ihren Wohlstand immer schneller. Das BIP pro Kopf in den USA betrug im Jahr 1960 3.000 Dollar, im Jahr 1989 war es bereits auf 23.000 Dollar angewachsen. Länder wie Südkorea und Japan übernahmen marktwirtschaftliche Prinzipien zumindest teilweise und erlebten daraufhin massives Wirtschaftswachstum. Westdeutschland, 1945 noch völlig vom Krieg zerstört, erlebte dank radikaler marktwirtschaftlicher Reformen unter Ludwig Erhard das berühmte Wirtschaftswunder.

Und wie ging es der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten zur selben Zeit? Reagan charakterisierte die Situation folgendermaßen: „In den kommunistischen Staaten sehen wir Misserfolg, technologische Rückschritte, schwindende Gesundheitsstandards und sogar Armut der grundlegendsten Art – zu wenig zu essen.“ Für den amerikanischen Präsident war die Sache in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor damit klar:

„Nach vier Jahrzehnten steht die Welt vor einer großen und unentrinnbaren Schlussfolgerung: Freiheit führt zu Wohlstand. Freiheit ersetzt den alten Hass zwischen Nationen durch Respekt und Frieden. Die Freiheit ist der Sieger.“

Auch heute wird wieder fleißig über „wunderschöne Mauern“ geredet, darüber, neue Hindernisse aufzustellen. Mit einem großen Unterschied zur Zeit der Sowjetunion allerdings, denn der Eiserne Vorhang war, wieder in den Worten Reagans, „nicht dafür gemacht um Menschen draußen zu halten, sondern um Menschen drinnen zu halten“.

Im Jahr 2019 werden Mauern für den umgekehrten Zweck gebaut: um Menschen draußen zu halten. Damit soll nicht gesagt werden, dass es überhaupt keine Kontrolle der Migration braucht, schließlich haben wir in der Flüchtlingskrise 2015 die Naivität der Idee der vollkommenen offenen Grenzen vorgeführt bekommen.

Dennoch wird bei der Argumentation für strengere Grenzkontrollen oftmals – und auch im Falle des heutigen US-Präsidenten – nicht auf Gründe wie Terrorismusbekämpfung, steigenden Kosten für den Wohlfahrtsstaat durch Einwanderung oder rapide kulturelle Verwerfungen (bis hin zum importierten Antisemitismus) zurückgegriffen. Stattdessen werden Außenstehende als Gefahr per seangesehen, als diejenigen, die Arbeitsplätze wegnehmen, die „unsere“ Universitäten überfüllen, die möglicherweise die falsche Partei wählen, oder die, Gott bewahre, sogar ihre Familien mitnehmen möchten und so unsere Länder „überfallen“.

So gesehen argumentieren die heutigen Rufe nach strengeren Einwanderungsregelungen genau gegen diejenigen, die jedes Land der Welt eigentlich mit offenen Armen willkommen heißen sollte: hart arbeitende Menschen, die, zum Beispiel im Falle der USA, einfach nur Teil des großen amerikanischen Projekts werden wollen. Jene Menschen, die früher auf Ellis Island ankamen, heute in JFK oder in O’Hare, um sich ein Leben und eine Familie aufzubauen, an dem Ort der zumindest nocheiner der freiesten der Welt ist.

Wir sollten auch nicht diejenigen vergessen, die für die Ideologie, die hinter der Mauer gewartet hat, argumentieren. Sozialismus ist heutzutage wieder en vogue, populär, weil er angeblich viel besser funktioniert als der Kapitalismus. Erzählen Sie das, ist man geneigt zu sagen, jenen Menschen, die den Horror des Lebens hinter der Mauer durchlebt haben, jenen Menschen, die erschossen wurden bei ihrem Fluchtversuch (und auch jenen Menschen, die heute aus Venezuela flüchten wollen). Drei Jahrzehnte lang stand die Berliner Mauer als schonungsloses Beispiel dafür, dass Sozialismus, Zentralisierung, und Mauern jeglicher Art und Weise, gebaut wegen wirtschaftlicher und sozialer Fragen, nicht funktionieren und auch nie funktionieren werden.

An dem heutigen Jahrestag von Reagans Rede sollten wir an die Mauer, diesen „brutalen Teilungsmechanismus eines Kontinents“, denken, als Erinnerung daran, dass von Staaten gebaute Mauern nicht funktionieren. Sie führen zu Katastrophen, und halten Menschen davon ab, nach erfüllten Leben zu streben. Es ist daher wieder Zeit Mauern abzureißen, nicht aufzubauen, seien es Regulierungen, bürokratische Hürden, Zölle oder eben echte Mauern. Aber im Gegensatz zum 12. Juni 1987 müssen wir heute bei uns zuhause anfangen, im angeblich „kapitalistischen“ Westen.

Kai Weiß ist ein Vorstandsmitglied des Friedrich A. v. Hayek Institut und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Austrian Economics Center.

Der Artikel auf Englisch: Austrian Economics Center

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Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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