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Warum Medikamente in Europa immer häufiger nicht mehr lieferbar sind

Warum Medikamente in Europa immer haeufiger nicht mehr lieferbar sind

Victoria Schmid

Erfahren Sie von Dr. Wolfgang Wein, einem Mediziner und Philosophen, mehr über die Herausforderungen der Medikamentenentwicklung und Lieferkettenmanagement in der pharmazeutischen Industrie.

Über Wolfgang Wein

Begrüßungsworte von Manuel Amort leiteten den Vortrag ein. Er stellte den Vortragenden Hr. Dr. Wolfgang Wein vor. Dr. Wein ist promovierter Mediziner und Philosoph. Seit 1993 ist er in der Pharmaindustrie tätig und war unter anderem globaler Leiter der Onkologie bei Merck und im Vorstand der Pharmadivision. 2019 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen.

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Rahmenbedingungen der Entwicklung von Medikamenten

Der Vortrag begann mit der aktuellen, prekären Lage auf dem Markt für Medikamente: Momentan sind ca. 500 Medikamente in Österreich nicht mehr verfügbar. Zuerst versuchte Dr. Wein die Basics des Lebenszyklus von Medikamenten zu erläutern. Um ein Medikament auf den Markt zu bringen, sind riesige Hürden zu überwinden, was bereits bei Forschung und Entwicklung der Fall ist. Von 10.000 Substanzen, die als Medikament in Frage kommen, schaffen es im Durchschnitt nur 10 in die klinische Phase. Am Ende erhält nur 1 Wirkstoff die Zulassung.

 Die Entwicklung eines Medikaments dauert derzeit ungefähr 12-14 Jahre. Die Kosten pro Projekt belaufen sich auf ca. € 2 Mrd. Damit ist dieser Prozess eine Hochrisikoaktion. Wenn ein Medikament nun nach 14 Jahren die Zulassung erhält, ist das schon ein ein „Riesenachievement“. Die Pharmaunternehmen haben daher ein Portfolio von 30 bis 50 solcher Projekte, um das Risiko zu streuen. Diejenigen Medikamente, die den Markt erreichen, müssen genug erwirtschaften, um die nicht erfolgreichen Projekte zu kompensieren.

Es ist bemerkenswert, dass in den 72 Jahren des Sozialismus in Osteuropa, es die Länder des Ostblocks nie geschafft haben, auch nur ein innovatives Medikament auf den Markt zu bringen. Auch China bisher nicht. Der Grund: Die Entwicklung eines Medikaments erfordert unternehmerisches Denken, freie Wissenschaft und langfristige Finanzierung. Erfolgreiche Medikamente sind nur in marktwirtschaftlichen Systemen entwickelt werden, wobei sich als die erfolgreichste Organisationform für eine weltweite Versorgung der Konzern erwiesen hat. Das Welt-BIP, welches im Zeitalter der Konzerne unglaublich angestiegen ist, geht auch mit einer Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung einher. Betrug die durchschnittliche Lebenserwartung im 19. Jh. etwa 35 Jahre, sind es heute 80 Jahre. Damit kann man sagen: freie Wissenschaft in Kombination mit Kapitalismus ist ein außerordentliches Erfolgsmodell.

Das Patent eines Medikaments wird am Beginn der Entwicklung angemeldet. Wie bereits erwähnt dauert die Entwicklung eines Medikaments 12 bis 14 Jahre. Da ein Patent 20 Jahre lang gültig ist, bleiben den Pharmaunternehmen 6 bis 8 Jahre Zeit um auf ihr jeweiliges Medikament einen um die Kosten wieder einzuspielen. Nach den 20 Jahren Patentschutz, gibt es in Europa noch den“ Dokumentenschutz“, danach treten die Nachahmer Medikamente, so genannte „Generika“ (chemisch) bzw. „Biosimilar“ (biologisch), auf den Markt und die Preise beginnen nach unten zu spiralisieren.

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Bürokratische Hürden und Preispolitik

Die zentrale Zulassung durch die EMA, European Medicines Agency, war ein großer Fortschritt. Im Gegensatz dazu hat aber jeder EU-Staat eigene Erstattungsverfahren bzw. HTA (Health Technology Assessment) aufgebaut. . Das führt unter anderem dazu, dass es in Europa einen starken Interventionismus der Staaten gibt mit einer extremen Regulierung der Preise und gleichzeitig ein freier innereuropäischer Markt besteht. Dabei können Medikamente von den Staaten mit niedrigen Preisen in jene mit höheren Preisen exportiert werden. Dadurch wird der Parallelexport von Medikamenten zu einem der Hauptfaktoren der derzeitigen „Lieferschwierigkeiten“, auch wenn die Firmen pro Land genug Medikamente zur Verfügung stellen. Diese gehen im freien Markt eben von Staaten mit niedrigeren Preisen (z.B. Griechenland, Österreich, etc.) in Länder mit höheren Preisen, etwa Deutschland, Skandinavien.

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Die Preise der Medikamente sind kein Problem, auch wenn es gerne anders dargestellt wird

Es wird in den Medien zumeist von teuren Medikamenten und hohen Preisen berichtet. Die Realität sieht aber anders aus. Die Pharmaquote (der Anteil der Medikamentenkosten am Budget) ist auf das Budget bezogen sehr stabil und moderat. Vom BIP werden ungefähr 12 % für den Gesundheitssektor ausgegeben. Davon wiederum werden 12 bis 13 % für Medikamente ausgegeben. Bei den Krankenhäusern beträgt dieser Anteil 5 bis 6 %. Auf das gesamte Budget bezogen bedeutet das, dass die Ausgaben für Medikamente nicht das Problem sein können, sondern eher die Personalkosten und andere Bereiche.

Im Vergleich zum Verbraucherpreisindex (VPI 1996) sinkt der Preis der bestehenden Medikamente kontinuierlich ab. Ein Grund neben den kontinuierlichen Preissenkungen, sind immer mehr Generikaverschreibungen, also Nachahmerprodukte. Diese machen heute ca. 55 % der Verordnungen aus. In den 1980er und 1990er Jahren wurden viele wichtige Medikamente für die Basisversorgung entwickelt. Diese haben nach und nach ihren Patentschutz verloren. Generika kommen auf den Markt und müssen billig angeboten werden. Aufgrund von Verordnungen und bestimmten Modellen muss auch der Preis des Originalprodukt massiv gesenkt werden. Wenn nun die Preise zu niedrig werden und sich die Produktion nicht mehr rentiert, verschwindet das Medikament aller Anbieter vom Markt. Wenn ein Medikament vom Markt verschwunden ist, kehrt es nicht mehr zurück. Denn dafür müsste das alte Dossier auf den heutigen Stand gebracht werden, was sich bei dem niedrigen Preis nie rechnen kann. So gehen bewährte Medikamente verloren und verschwinden vom Markt.

Abhängigkeit von anderen Ländern

Dr. Wein betonte auch vor allem die Abhängigkeit der EU von anderen Staaten. Indien z. B. produziert den Großteil an Paracetamol für Europa. Das Land verordnete zu Beginn von Covid-19 ein Ausfuhrverbot dieses Wirkstoffes, sodass man nicht einmal diesen Fiebersenker gehabt hätte. In China und Indien werden heute die meisten Antibiotika für die EU hergestellt. Noch vor der russischen Invasion hatte keiner Bedenken; aber seitdem schrillen auch hier die Alarmglocken: Sollte sich ein militärischer Konflikt mit China entwickeln, so hätte Europa fast keine Versorgung mehr mit Antibiotika. Im Extremfall bedeutet dies, dass man bei Soldaten mit Schussverletzungen den Wundbrand nicht mehr behandeln könnte.  Bereits 2018 gab es eine deutsche Initiative, die Produktion von Betalaktam-Antibiotika wieder nach Deutschland zu holen. Eine Studie von Roland Berger ergab, dass man 100 Tonnen für Deutschland oder noch besser 500 Tonnen für Europa produzieren müsste, wobei pro Tonne ein Zuschuss von 165.000 Euro notwendig wäre, um die Produktion unter europäischen Bedingungen herzustellen. Das wären in Summe 82,5 mio Euro – für die gesamte EU – ein Klacks, wenn man die Größe bestimmter Milliarden Hilfsprogramme anschaut. Stattdessen jammert und wurschtelt man eben weiter.

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Zusammenfassung

Die Ursachen der gegenwärtigen „Lieferprobleme“

  • Seit ca. 20-30 Jahren kontinuierlicher Preisdruck auf am Markt befindliche Medikamente in EU
  • Aus diesem Grund Abwanderung der API (Grundwirkstoffe) Produktion nach China und Indien
  • Aus diesem Grund Abwanderung der Medikamentenproduktion für Nachahmerprodukte
  • Parallelexport von Medikamenten von Niedrigpreis- in Höherpreisländer innerhalb der EU
  • Hohe Qualitätsanforderung, komplexe Herstellung und Lieferketten und immer feinere analytische Methoden führen zu Produktionsproblemen, vor allem bei älteren Produkten

Abschließend sprach Dr. Wein einige politische Empfehlungen aus. Als wichtigsten Punkt nannte er die Rückführung der Produktion essentieller Medikamente (Antibiotika) nach Europa, auch wenn dies etwas kostet. Ebenfalls sei die Anhebung der Mindestpreise für alte, bewährte Medikamente sinnvoll. Damit könne man das Verschwinden der Wirkstoffe vom Markt unterbinden. Allerdings sei hierbei wichtig, dass der Mindestpreis für essentielle Medikamente flächendeckend in der EU eingeführt wird,  weil es andernfalls wieder zu Parallelexporten kommen würde.

Bei der anschließenden Diskussionsrunde ging es u. a. um die Verschwendung von Medikamenten, Skandale der Medikamentenversorgung und um die Zukunft der Zulassungsverfahren. Beim geselligen Umtrunk konnte man noch persönlich mit Dr. Wein ins Gespräch kommen.

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Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

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