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19.05.2020
Solidarität heißt, Regeln einzuhalten
von Peter Jungen
Für die Diskussion über EU-Finanzierungshilfen für besonders notleidende Mitgliedsstaaten hilft ein Rückblick in die Geschichte des Euros. Seit dem Abschluss der Verträge zur Stabilitätssicherung der europäischen Währung vor fast 30 Jahren hat es Hunderte Verstöße gegen die Einhaltung der Schuldenregeln gegeben, die einst von allen Euro-Mitgliedsstaaten unterschrieben wurden. Es gab aber bisher kein einziges Vertragsverletzungsverfahren. Zur aktuellen Lage ist Folgendes anzumerken:
Eine Unterstützung aus dem ESM (European Stability Mechanism) zum Beispiel für Italien kann sehr schnell umgesetzt werden, da es hierfür ein vereinbartes System gibt. Wer heute auch dies wieder infrage stellt, trägt dazu bei, dass die Skepsis gegenüber Europa und allen Versprechungen, die von dort kommen, wachsen wird.
In den meisten Euroländern ist die Abgabenquote, sei es für Steuern oder sei es für Sozial- abgaben, deutlich niedriger als in Deutschland. Hätten die Bürger dieser Mitgliedsländer seit Bestehen der Eurozone eine identische Abgabenquote in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wie die deutschen, entspräche dies etwa 150 Prozent des BIP. Selbst Italien hätte keine Staatsschulden. Was den deutschen Steuerzahlern (das gilt aber auch für die holländischen, die österreichischen, skandinavischen oder baltischen) kaum bewusst ist: Ihnen wird heute vorgehalten, dass sie mehr in die Staatskasse und in die Sozialversicherung gezahlt haben, weshalb sie nun einen Teil des Geldes konditionenfrei in andere Länder verlagern sollen. Würde dies allgemein bekannt, würde es die Zu- stimmung zu Europa gewiss nicht vergrößern.
Der Ruf nach „Corona-Bonds“ ist nichts anderes als die bisher immer erhobene Forderung nach Eurobonds. Diese sind Gott sei Dank nicht nur von Deutschland, sondern von vielen Eurozonen-Mitgliedern abgelehnt worden. Der Widerstand ist ja nicht deren Marotte, sondern basiert auf Artikel 125 der Lissabon-Verträge, der „No-Bailout-Klausel“. Dieser Vertrag bedürfte einer Änderung nicht nur zwischen den Mit- gliedsstaaten, sondern auch mit Zustimmung der nationalen Parlamente. Damit würden diese – auch der Deutsche Bundestag – auf das verfassungsgemäße Recht der Budgethoheit verzichten müssen. Werden sie das alle tun?
Das zentrale Argument gegen den Widersinn der Eurobonds besteht aber darin, dass Entscheidung und Haftung auseinanderfallen würden: Staaten müssten für die Ausgaben anderer Staaten haften, auf die sie keinen Einfluss haben. Dies aber verbieten die europäischen Verträge – zu Recht. Eine gemeinsame Verschuldung würde voraussetzen, dass die Mitgliedsstaaten ihre haushaltspolitische Souveränität aufgeben. Dies will offenkundig niemand.
Was den Fall Italien betrifft, so muss betont werden, dass das Land schon vor der Aufnahme in den Euroraum weit über das zulässige Maß hinaus verschuldet war. Je weiter die Verschuldung stieg, desto geringer war das Wachstum. Deutschland bietet das umgekehrte Beispiel. Hier ist mit sinkender Verschuldung das Bruttoinlandsprodukt viel stärker gewachsen als in Italien. Die Vorstellungen von Vulgär-Keynesianern, dass nur durch höhere Verschuldung Wachstum entsteht, ist in der Eurozone widerlegt.
Die gesamte bisherige Politik der Eurozone, einschließlich der lockeren Geldpolitik der EZB, hat es nationalen Regierungen über viele Jahre erlaubt, sich ohne jede Strukturreform durchzuwursteln. Ein Beispiel für Solidarität wäre es deshalb, wenn die Eurozone nun
strikt auf die Einhaltung der Regeln dringen würde und alle Mitgliedsstaaten dies akzeptie- ren würden. Italien hätte schon vor Jahren einen Weg der Strukturreformen beginnen müssen, der unausweichlich ist und der immer schwieriger zu gehen sein wird, je länger Rom zaudert, ihn zu begehen. Ohne entsprechende Anreize wird es dazu nicht kommen.
Solidarität bedeutet zunächst, dass Italien solidarisch ist mit den anderen Mitgliedern der Eurozone, die jetzt auch in dieser Krise sich mit ungeheuren Beträgen verschulden und damit auch Italien helfen. Es ist dagegen völlig unsolidarisch, Mitgliedsländer der Eurozone zu Solidarität aufzurufen, gleichzeitig aber abzulehnen, die von ihnen selbst unterschriebenen vertraglichen Regelungen einzuhalten. Solidarität heißt vor allem auch, diese Regeln einzuhalten, Strukturreformen durchzuführen und auf diese Weise Wachstum zu generieren, um aus der Verschuldung herauszuwachsen.
Sodann bedeutet Solidarität mit Italien, Hil- fe nur unter strengen Auflagen zu geben. Dazu gehören unkonditionierte Eurobonds ganz sicher nicht. Italien lehnt Kredite und dadurch entstehende neue Verschuldung aus dem ESM ab, weil dieses Instrument als Inbegriff des Souveränitätsverlusts und der Gängelung durch die Nordländer angesehen wird. Stattdessen will Italien die Verträge zerstören und Zuständigkeiten – etwa des Bundestags für den deutschen Haushalt – einschränken, indem Deutschland faktisch eine unbegrenzte Haftung für italienische Ausgaben übernehmen soll.
Der deutsche Steuerzahler und eigentlich auch die Italiener sollten der Bundesregierung, der niederländischen Regierung und den insgesamt zehn Mitgliedsländern der Eurozone dankbar dafür sein, die jetzt den Einstieg in Eurobonds erneut verhindert haben. Sonst würde es italienischen Politikern weiterhin erlaubt, ihre diversen Wahlversprechungen zu finanzieren und ihre eigenen Bürger irrezuleiten.
Peter Jungen ist über die Peter Jungen Holding Business Angel Investor in Europa, USA und China. Er ist Ehrenvorsitzender des Center on Capitalism and Society der Columbia University.
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger am 18./19. April 2020
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