|

Sozialökonomie: Zwischen Unter- und Übersozialisierung

Sozialökonomie

von Kai Weiß

Dieser Artikel ist Teil der Serie Spontane Ordnung: Eine lange Tradition mit Lehren für heute. Lesen Sie hier den vorherigen Artikel der Serie.

Das Konzept einer spontanen Ordnung ist so tief in der Tradition der Österreichischen Schule verwurzelt wie kein anderes. Carl Menger (1840-1921), der Gründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, hat eine sehr ähnliche Version wie Friedrich Hayek (1899-1992) unter dem Namen organische Institutionen vorgelegt.

Um zu erklären, was die spontane Ordnung tatsächlich ist, sollten wir jedoch einen Moment zurücktreten und den heutigen Stand der Sozialwissenschaften betrachten. Wie Peter Boettke (1960-), Professor an der George Mason University, argumentiert hat, leiden die Sozialwissenschaften in der Regel unter zwei elementaren Problemen: entweder der Untersozialisierung oder der Übersozialisierung. Untersozialisierung findet sich beispielsweise in der neoklassischen und Mainstream-Ökonomie, wo der oder die Einzelne das Wesen eines rationalistischen Tieres annimmt, das nicht von seinem sozialen Kontext oder seinen Emotionen beeinflusst wird, sondern lediglich seinen eigenen wirtschaftlicher Gewinn in Anbetracht zieht – mit dem Ziel, diesen stets durch völlig rationale Entscheidungen zu maximieren.

Andere Denkschulen übersozialisieren währenddessen ihre Theorien; so zum Beispiel die Verhaltensökonomie, die keine solche Über-Rationalität annimmt, sondern bei der die Irrationalität sowie der soziale Kontext eine so enorme Rolle spielen, dass der Einzelne und seine oder ihre Entscheidungsfindung fast verschwindet. Das Ergebnis von Unter- und Übersozialisierung ist ähnlich: Das Individuum wird zu einer Art Roboter, entweder immer der (wirtschaftlichen) Vernunft oder den Massen der Gesellschaft blind nachgehend.

Die Österreichische Tradition geht jedoch einen anderen Weg, insbesondere durch die Disziplin der Sozialökonomie, ein Begriff, der im frühen zwanzigsten Jahrhundert durch die Zusammenarbeit von Friedrich von Wieser (1851-1926), Joseph Schumpeter (1883-1950) und Max Weber (1864-1920) entstand. Richard Swedberg (1948-) definiert Sozialökonomie als „eine Wirtschaftswissenschaft, die ein breites Fachgebiet hat und die mit Hilfe verschiedener sozialwissenschaftlicher Ansätze untersucht werden muss.“

Anders ausgedrückt, dieser Ansatz betonte die Notwendigkeit eines interdisziplinären Studiums statt der heute herrschenden Spezialisierung auf die winzigsten Forschungsbereiche. Hayek brachte dies in seiner berühmten Aussage auf den Punkt: „Niemand kann ein großer Ökonom sein, der nur ein Ökonom ist – und ich bin sogar versucht hinzuzufügen, dass der Ökonom, der nur ein Ökonom ist, wahrscheinlich ein Ärgernis, wenn nicht eine positive Gefahr wird.“ Eine ganzheitliche Sicht auf die Welt, die nicht nur auf wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen, politischen, religiösen, kulturellen – und so weiter – Faktoren basiert, sondern möglichst viele davon umfasst und versucht, die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen ihnen zu identifizieren, definiert den Ansatz von Sozialökonomie.

Der sozialökonomische Ansatz basiert auf dem methodologischen Individualismus, der besagt, dass nur Einzelpersonen – keine Gruppen, keine Kollektive – handeln können. Dies schließt nicht aus, dass Gruppen von Individuen zusammenkommen und gemeinsam Entscheidungen treffen, aber letztendlich sind es immer Individuen, die die Entscheidungen treffen. Gruppen – sagen wir Regierungen – haben keinen eigenen Willen. Während viele Sozialwissenschaftler heute diesem individualistischen Ansatz folgen, war dies bei der Gründung der Österreichischen Schule keine Selbstverständlichkeit. In der Tat machte Carl Menger es zu einem zentralen Bestandteil seines Denkens und Schumpeter gab diesem Ansatz den Namen methodologischen Individualismus. In dem deutschen Soziologen Max Weber fanden sie einen Begleiter, der argumentierte, dass Soziologie „nur verfolgt werden kann, wenn man die Handlungen eines oder mehrerer (weniger oder vieler) Individuen, das heißt, mit einer streng ‚individualistischen‘ Vorgehensweise“, als Ausgangspunkt nimmt.

Im Gegensatz zum Ansatz der Untersozialisierung wird das Individuum jedoch nicht als Homo Oeconomicus angesehen. Stattdessen wird der Mensch in eine Gesellschaft mit unterschiedlichen Traditionen, sozialen Sitten, Regeln und Institutionen hineingeboren. Der Mensch wird in eine Familie mit Eltern, Geschwistern, Verwandten, Freunden und Gemeinschaften platziert. In der Tat ist der Mensch „von Natur aus ein soziales Tier“ mit einem angeborenen Bedürfnis, mit anderen Menschen zu interagieren.

Es ist dieses Konzept des Individuums in der Gesellschaft, durch das wir das Konzept der spontanen Ordnung verstehen können – und das wir im nächsten Artikel genauer betrachten werden.

 

Wollen Sie etwas zu Kais Gedanken hinzufügen? Oder stimmen Sie dem Gesagten nicht zu? Dann senden Sie bitte Ihre Antwort in Form eines Artikels oder eines Artikelvorschlags.

Finden Sie alle Artikel auf Englisch auf dem Blog des Austrian Economics Center.

Kai Weiß ist ein Vorstandsmitglied des Friedrich A. v. Hayek Institut und der Research and Outreach Coordinator des Austrian Economics Center.

Author

Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.

Gefällt Ihnen der Artikel?

Das freut uns! Bitte unterstützen Sie uns, wenn Sie mehr solcher Artikel lesen möchten:

Das interessiert Sie vielleicht auch:

Diesen Artikel teilen!

Jetzt zum Newsletter anmelden!