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28.01.2015
Terrorangst: Die Freiheit zahlt den Preis

Terrorangst: Die Freiheit zahlt den Preis
Mehr Sicherheit bedeutet weniger Freiheit. Beides lässt sich nicht gleichzeitig maximieren. Wie weit darf der Staat gehen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten?
von Raoul Sylvester Kirschbichler
Der Terror ist in Europa angekommen: Die Ermordung der besten Karikaturisten des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo hat weltweit Bestürzung ausgelöst. Zwei Wochen nach den Anschlägen kündigt Frankreichs Premierminister Manuel Valls drastische Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus an: Mehr Geld, mehr Sicherheitskräfte und noch mehr Überwachung. Niemand widerspricht. Denn je größer die Bedrohung, desto leichter findet die Politik auch Unterstützung für den Kampf gegen Extremisten und Fanatiker, selbst dann, wenn die Freiheiten jedes Einzelnen eingeschränkt werden.
Dass die Bürger nicht gefragt werden, versteht sich von selbst. Fragen der Sicherheit haben wir schon immer gerne Vater Staat überlassen. Egal, ob er immer die passenden Antworten gefunden hat. Menschen haben sich auch deshalb zu einem Staatswesen zusammengeschlossen, weil sie dem Staat den Schutz ihres Vermögens und ihrer Freiheiten anvertrauen möchten. Der Staat soll(te) uns und unser Eigentum beschützen.
In Zeiten der Bedrohung durch Extremisten akzeptieren Bürger die damit verbunden Freiheitseinschränkungen (eher). Auch deshalb, weil wir wissen, dass sich Freiheit und Sicherheit nie gleichzeitig maximieren lassen. Seit den Anschlägen in New York und Nairobi, Madrid und London haben sich die Präferenzen verschoben: Von der Freiheit hin zur Sicherheit. Und seit der Ermordung der Pariser Karikaturisten gilt es nun verstärkt die Meinungsfreiheit, das Herzstück unserer Demokratie, mit allen Mitteln zu verteidigen. Mit allen damit verbundenen Konsequenzen? Selbst dann, wenn rechtsstaatliche Schranken aufgehoben werden, weil sie nach Ansicht des Staates ein Risiko für unsere Sicherheit darstellen?
Wer pfeift den Staat zurück, wer kann darüber entscheiden, ob die neuen Vollmachten, die der Staat fordert, tatsächlich notwendig sind, um Bedrohungen vorzeitig aufzuspüren. Wir alle müssen damit rechnen, überwacht zu werden, egal wie verdächtig wir sind. Um den (Terrorismus-) Verdacht zu erhärten, benötigt der Staat mehr und mehr Informationen. Die Forderung nach erweiterten Abhörbefugnissen erscheint logisch und verständlich zugleich. Aber existiert überhaupt noch eine Grenze zwischen Bürgern und Verdächtigen, zwischen harmlosen und relevanten Daten?
Umso deutlicher die Bedrohungsbilder sind oder umso größer sie gemacht werden, desto seltener hinterfragen wir die Maßnahmen zur Terrorbekämpfung. Für den Staat gelten rechtsstaatliche Schranken sehr schnell als Hürde auf dem Weg zu mehr Sicherheit. Zugegeben: Die Errungenschaften des Rechtsstaates sind noch nicht bedroht.
Aber wenn der Preis zu hoch ist, den wir zugunsten unserer Sicherheit bezahlen müssen, wenn zwischen Sicherheit und Freiheit ein Ungleichgewicht herrscht, dann könnte die Demokratie selbst ins Wanken geraten. Vor allem dann, wenn unsere Freiheiten als Sicherheitsrisiko dargestellt werden – genau das wirkt lähmend auf die meisten Demokratien, weil sich die Bürger nicht mehr am Diskurs beteiligen, sich beginnen zurückzuziehen. Dabei lebt die Demokratie auch von der Partizipation der Menschen.
Im internationalen Magazin für Sicherheit beurteilt Fritz Körper das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit gänzlich anders:
http://www.ims-magazin.de/index.php?p=artikel&id=1255446000,1,gastautor
„Das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit ist in einem demokratischen Rechtsstaat kein Konflikt zwischen staatlichem Eingriffsinteresse einerseits und den Rechten der Bürgerinnen und Bürger auf Abwehr staatlicher Eingriffe andererseits. Eine derartige Betrachtungsweise verharrt im Modell des Obrigkeitsstaates, in dem Staat und Gesellschaft streng getrennt gegeneinander stehen. In einem demokratischen Rechtsstaat sollten wir bei der Beurteilung staatlicher Institutionen und deren Kompetenzen dem Umstand Rechnung tragen, dass diese Institutionen und die von ihnen vertretenen Werte letztlich auf den Bürgerwillen zurückzuführen sind und dazu dienen, diesem Willen in dem Maß zur Geltung verhelfen, in dem er verfassungsrechtlich geschützt ist.“
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(Fritz Rudolf Körper, MdB, studierte Theologie und war von 1990 bis 1998 Mitglied des Innenausschusses, davon vier Jahre als innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1998 bis 2005 war er parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. Seitdem ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzenden für die Bereiche Innen, Recht, Sport, Kultur und Medien im Deutschen Bundestag).
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Die Bedrohungsbilder und wie der Staat versucht darauf zu reagieren, all das hat sich schneller verändert, sich schneller den Erfordernissen angepasst als diverse Verfassungsparagrafen, hinter denen sich nur noch die gut gläubigsten Bürger sicher und frei fühlen: Früher durfte der Staat präventive Mittel nur dann einsetzen, wenn er einer konkreten Gefahr begegnen oder ein bevorstehendes Verbrechen tatsächlich verhindern musste. Ein hinreichender Verdacht war die Grundvoraussetzung; heute werden große Teile unserer Gesellschaft, von denen vielleicht eine Gefahr ausgehen könnte, permanent überwacht. Hat der Staat hier eine unsichtbare Grenze überschritten?
Vielleicht lässt sich individuelle Selbstbestimmung nur dort verwirklichen, wo die Staatsbürger auch selbst entscheiden, wie sehr ihre individuelle Freiheit begrenzt werden soll, um mehr Sicherheit zu gewährleisten? Eine primär theoretische Überlegung, gilt doch die Sicherheit als letzte Bastion effektiver Staatlichkeit.
Das hat damit zu tun, dass Sicherheit einerseits als Schutz vor externer, zumeist militärischer Bedrohung verstanden wird, – sie kann angeblich nur durch zentral gesteuerte staatliche Maßnahmen und politische Beschlüsse gewährleistet bzw. umgesetzt werden. Es gibt aber andererseits auch noch die innerstaatliche Sicherheit, die den Bürger vor Kriminalität und Gewalt schützen soll und gleichzeitig auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung garantiert. Die Grenzen zwischen nationaler und internationaler Sicherheit, zwischen militärischer und ziviler Sicherheit sind mittlerweile fast gänzlich verschwunden:
Wer den Terror in Europa im Keim ersticken möchte, der muss der Integration viel mehr Aufmerksamkeit schenken – der religiöse Fanatismus wirkt vor allem auf junge Randgruppen europäischer Gesellschaften anziehend. Wer die Keimzellen des Terrorismus außerhalb Europas wirksam bekämpfen möchte, der muss nicht nur eine Lösung für den Nahost-Konflikt parat haben, sondern auch taugliche Friedensmodelle für Syrien und den Irak besitzen. In beiden Staaten existiert keine staatliche Ordnung mehr. Der IS hat jene aufgefangen, die sich gerne einer supranationalen Idee anschließen und mithilfe des islamischen Fundamentalismus eine neue Identität annehmen können, weit über die künstlich gezogen Grenzen des Terror-Kalifats hinaus.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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