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02.11.2023
Der Überfall. Motive, Interessen und Konsequenzen

Victoria Schmid
Von Leo Hirnschrodt
Am 19.10.2023 hielt Politikwissenschaftler und Professor Gerhard Mangott am Hayek Institut einen Vortrag über den Ukrainekrieg mit dem Titel: „Der Überfall. Motive, Interessen, Konsequenzen“. Entscheidende Fragen zu den Motiven Russlands, dem Kriegsverlauf, den Interessen der verschiedenen Konfliktparteien und mögliche Endszenarien des Krieges wurden thematisiert.
Strategische Niederlage Russlands und Putins Narrative
Gleich zu Beginn erklärte Mangott, dass Russland diesen Krieg aus strategischer Sicht bereits verloren habe. Der Versuch des Kremls, im Zuge einer militärischen „Spezialoperation“, in nur wenigen Tagen die erfolgreichen „Enthauptungsschlag“ gegen die ukrainische Führung und einen Regime-Wechsel durchzuführen, scheiterte kläglich. Mangott erläuterte die sich ändernden Narrative, welche Wladimir Putin in der Kommunikation mit der russischen Bevölkerung bedient. Das jüngste behauptet, dass sich der Westen aktiv im Krieg gegen Russland befinde. Der Westen habe sich, so das Narrativ, das Ziel gesetzt, die russische Nation und Zivilisation zu zerstören. Die tatsächlichen Motive Putins sind jedoch durch einen stark ausgeprägten, historischen Revanchismus gekennzeichnet. Der russische Präsident versucht die Grenzen Russlands um Territorien, die historisch zu Russland gehörten, auszudehnen. Außerdem versucht der Kreml, einen Sicherheitspuffer zwischen den eigenen Landesgrenzen und der NATO zu errichten.

Der Kriegsverlauf
Prof. Mangott schilderte kurz den bisherigen Kriegsverlauf. Nach den erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven im Raum Charkiw und Cherson des vergangenen Jahres, sah sich Putin zu einer partiellen Mobilisierung der russischen Bevölkerung gezwungen. Des Weiteren wurden die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete völkerrechtswidrig annektiert und Angriffe auf die Infrastruktur des Landes drastisch intensiviert. Trotz Teil-Mobilmachung und regelmäßigen ukrainischen Drohnenangriffen auf russisches Territorium, sei die Zustimmungsrate gegenüber Putin und dem Krieg in weiten Teilen der russischen Bevölkerung hoch. Lediglich in den höheren Bildungsschichten seien andere Auffassungen zu verzeichnen.

Sommeroffensive gescheitert?
Laut Mangott habe die Ukraine ihre hochgesteckten Ziele für die Sommeroffensive zwar deutlich verfehlt, jedoch kann man trotzdem nicht von einem klaren Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive sprechen. Denn den ukrainischen Streitkräften ist es gelungen, die von der Front hunderte Kilometer entfernte militärische Infrastruktur der Russen mittels westlicher Raketen und Marschflugkörpern stark in Bedrängnis zu bringen.

Was soll das Kriegsziel der Ukraine sein?
Im Wesentlichen lassen sich die potenziellen ukrainischen Kriegsziele in die beiden Kategorien Maximalziele und moderate Ziele unterteilen. Erstere würden die Wiederherstellung der vollständigen territorialen Integrität der Ukraine, also der Landesgrenzen vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 bedeuten. Befürworter von moderaten Zielen halten dieses strategische Vorhaben für zu riskant, da sie entweder eine horizontale Eskalation mit dem Kriegseintritt weiterer Länder oder eine vertikale Eskalation mit einem möglichen Einsatz von Nuklearwaffen befürchten. Gerhard Mangott erscheinen beide Eskalationsarten derzeit unwahrscheinlich, ein Restrisiko bleibe aber bestehen.

Reaktionen
Obwohl völkerrechtlich der Westen mit seinen Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg nicht zur Kriegspartei wird, könnte man aus politologischer Sicht einen kriegsähnlichen Zustand benennen. Die politischen Antworten der westlichen Staatengemeinschaft belaufen sich auf bisher insgesamt 11 verhängte Sanktionspakete gegen Russland und Unterstützung der Ukraine in Form von Waffenlieferungen, Echtzeitinformationen über russische Stellungen, als auch finanzielle und humanitäre Hilfe. Selten erwähnt wird, dass diese Reaktionen global gesehen von einer klaren Minderheit getragen werden, da nur 46 von insgesamt 193 UN-Mitgliedsstaaten Sanktionen gegen Russland verhängt haben.

Konsequenzen
Der Ukrainekrieg birgt für die verschiedenen politischen Akteure jeweils unterschiedliche Konsequenzen. Die Ukraine hat nicht nur einen BIP-Einbruch von 29%, massive Infrastrukturschäden und einen „Brain-Drain“ erleben müssen, sondern könnte auch von Territorialverlusten betroffen sein. Auf der anderen Seite bezahlt Russland mit politischer Isolation, einer wachsenden Abhängigkeit von der Volksrepublik China, der Abwanderung von Humankapital und einem teilweisen wirtschaftlichen „Decoupling“ zwischen Europa und Russland. Die USA hingegen entpuppen sich als der geostrategische Gewinner des Ukrainekriegs. Dies durch die erzielte langfristige sowohl militärische als auch politische Schwächung der russischen Föderation, und die Stärkung und Geschlossenheit der NATO. China gilt aufgrund der wachsenden Abhängigkeit Russlands als zweiter Gewinner des Ukrainekrieges.

Drei Endszenarien
Am Schluss des Vortrages wurden drei unterschiedliche Möglichkeiten, wie der Ukrainekrieg zu Ende gehen könnte, erläutert. Die erste Alternative wäre die Intervention einer dritten Partei in das Kriegsgeschehen. Es könnte aber auch eine der beiden Konfliktparteien einen militärischen Sieg erringen. Eine dritte Möglichkeit stellt die militärische Erschöpfung einer oder beider Kriegsparteien und eine damit verbundene Verhandlungsbereitschaft dar. Ein Ende des Ukrainekrieges ist derzeit weder gewiss noch absehbar. Jedoch steht eine Tatsache bereits fest. Die Invasion war ein großer strategischer Fehler.

Die Moderation übernahm Dr. Georg Vetter, Vorstandsmitglied im Hayek Institut.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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