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25.11.2021
Wie lange noch wirst du unsere Geduld missbrauchen?

Wie lange noch wirst du unsere Geduld missbrauchen?
von Scott B. Nelson
Wer gehofft hatte, dass der Bundeskanzler ein umsichtiges Covid-Management einführen würde, wird durch die Entscheidung des Interimskanzlers, den vierten Lock Down in diesem Land auszulösen, schwer enttäuscht werden. Die Länder, die zu Beginn der Pandemie für ihre Leistungen gelobt wurden, befinden sich nun in einer schwächeren Position.
Die derzeitige Regierung setzt die Planlosigkeit fort. Österreich ist, wie viele andere Länder auch, Geisel eines überforderten Gesundheitssystems. Eine Ausbreitung des Virus kann nicht zugelassen werden, da dies eine übermäßige Belastung für das Gesundheitspersonal bedeuten würde. Nicht die Zahl der Betten ist das Problem, sondern die Zahl der ausgebildeten Mitarbeiter. Die können zwar nicht von heute auf morgen ausgebildet werden, aber Covid ist auch nicht erst gestern ausgebrochen. Was hat die Regierung seit März 2020 getan, um eine effiziente Rückkehr zum normalen Leben zu gewährleisten?
Die Planlosigkeit wird durch eine schwache Öffentlichkeitsarbeit ergänzt. Auf der Pressekonferenz am 19. November sprach man von Solidarität und schloss dabei ein ganzes Drittel der Bevölkerung aus, nämlich diejenigen, die sich aus Gründen, die die Regierung nicht interessieren, nicht geimpft haben. Die Ungeimpften sind eine vielfältige Gruppe, und ihre Gründe sind ebenso vielfältig. Es ist eine grobe Vereinfachung, sie als eine homogene Masse zu betrachten, deren Ablehnung der Wissenschaft ausschließlich auf der Lektüre von Websites mit zweifelhaftem Ruf beruht. Einige zögern weil sie einer Regierung nicht vertrauen, deren Trägheit sie auch in anderen Fällen enttäuschte, zum Beispiel bei der Bekämpfung des Klimawandels.
Solche Nuancen sind unter der Würde der Regierung. Mit der herzlosen Herablassung eines Bürokraten teilte der Bundeskanzler der Öffentlichkeit mit, dass man monatelang Maßnahmen ergriffen habe, um die Ungeimpften von ihrer Überzeugung abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Da sich die Ermahnungen als unwirksam erwiesen, wurden überzeugendere Methoden notwendig. Den gehorsamen zwei Dritteln der Bevölkerung sollte ihre 2G-Freiheit gewährt werden, während für den Rest ab dem 15. November schwere Einschränkungen galten. Doch wie sollte dies durchgesetzt werden? Als die Fallzahlen neue Rekorde erreichten, änderte die Regierung eilig ihren Kurs. Doch da die Macht des Staates nicht ausreichte, brauchte sie etwas Stärkeres: die moralische Verurteilung durch die öffentliche Meinung. Die Verhängung einer landesweiten Ausgangssperre kurz vor der Weihnachtszeit ist darauf ausgelegt, den Zorn auf die hartnäckigen Ungeimpften zu lenken. Die eklatante Diskriminierung durch den Staat wird durch die Diskriminierung der Öffentlichkeit verstärkt. Der Fall eines steirischen Frauenarztes, der ungeimpfte Patientinnen abweisen würde, wirft Fragen auf.
Angesichts der aufgestauten Wut in der Bevölkerung ist dies unverantwortlich. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen haben es zu Recht satt, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen überwiegend mit Ungeimpften gefüllt sind. Die Ungeimpften haben es satt, wie Kinder belehrt zu werden. Davon zeugen die Demonstrationen am 20. November in der Wiener Innenstadt. Mit rund 38.000 Menschen in Wien und etwa 10.000 österreichweit war der Anlass gut besucht, wenn auch nicht ganz so gut wie die 50.000 Menschen starke Black Lives Matter Demo im Juni 2020. Die breite Bevölkerung wird nicht unter den Demonstranten gesehen werden wollen, da viele mit der FPÖ oder rechten Gruppierungen in Verbindung gebracht werden. Aber auch die Bevölkerung hat die Nase voll von dem Ganzen, ihre Geduld schlägt in stille Empörung um. Irgendjemand oder irgendetwas muss verantwortlich gemacht werden. Die große Tugend der liberalen Demokratien – die Toleranz – wird auf die Probe gestellt. Denn Toleranz ist die Fähigkeit, andere zu ertragen, auch wenn man weiß, dass sie im Unrecht sind. Und wie lange müssen andere Themen wie Klimawandel, Einwanderung und Integration sowie die Wirtschaft noch hinter Covid zurückstehen? Übrigens: Für das nächste Jahr sind zwar umfangreiche Investitionen in die Wirtschaft geplant, aber ein größerer Teil der Investitionen konzentriert sich auf den Klimawandel und nicht darauf, die Österreicher wieder in Arbeit zu bringen.
Die Botschaften der Regierung basieren nicht nur auf einem oberflächlichen Wir-und-Sie-Narrativ, das durch die Äußerungen des Präsidenten nur etwas abgeschwächt wird, sondern sie bieten auch zu viel Sicherheit und Präzision, wo es keine geben kann. Es wird uns versprochen, dass die Abriegelung höchstens bis zum 12. Dezember andauern wird, wobei am 2. Dezember eine Neubewertung stattfinden soll. Was ist, wenn die Fallzahlen zu diesem Zeitpunkt immer noch unannehmbar hoch sind? Werden sich die Menschen dann nicht mehr auf den Weihnachtsmärkten versammeln, sondern in geschlossenen Räumen? Was ist, wenn die Menschen die Impfung weiterhin verweigern? Dann muss der Lock Down bis Weihnachten verlängert werden. Der Kanzler behauptet, dass wir wegen der Ungeimpften in diesem Schlamassel stecken. Die Impfung sei deshalb die einzige Lösung. Das mag ja sein, aber dann können wir nur hoffen, dass andere Länder mit höheren Impfraten nicht auch Lock Downs verhängen, denn das würde die These widerlegen.
Auch bei der Umsetzung wurde gepatzt. Mitte letzter Woche zögerte die ÖVP, einen bundesweiten Lock Down auszurufen, und bevorzugte lokale Sperren in den am stärksten betroffenen Gebieten, um dann die Verantwortung an die Landeshauptleute der einzelnen Bundesländer abzugeben. Das Ergebnis war eine Abriegelung in letzter Minute, die am Freitag, dem 19. November, um 11.00 Uhr angekündigt wurde und am folgenden Montag beginnen sollte. Das war kaum genug Vorlaufzeit, um Urlaubspläne zu ändern oder der Gastronomie zu signalisieren, keine verderblichen Waren zu kaufen. Obwohl sie sich auf die Weihnachtssaison vorbereiten, äußerten sich einige Personen aus dem stark betroffenen Gastgewerbe frustriert über die Art und Weise, wie der Lock Down eingeführt wurde, obwohl eine Woche Vorlaufzeit durchaus angemessen gewesen wäre.
Berichten zufolge hat sich die Regierung mit der Wirtschaftskammer über die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen beraten, dabei aber anscheinend nicht die zahlreichen Touristen berücksichtigt, die bereits wegen der berühmten Weihnachtsmärkte und der Weihnachtsdekoration nach Österreich gereist waren. Diejenigen, die bereits nach Österreich gereist waren, mussten überstürzt abreisen oder für einige Tage in Hotels mit geschlossenen Restaurants bleiben und hatten weder Zugang zu den Weihnachtsmärkten noch zu den Skigebieten oder kulturellen Aktivitäten, bis sie Vorkehrungen für ihre Heimreise treffen konnten. Der Obmann des Fachverbandes Hotellerie in der Wirtschaftskammer Tirol hat die Situation als „absolutes Worst-Case-Szenario“ und als „Katastrophe“ für den Tourismus bezeichnet – man könnte auch sagen für die gesamte Wirtschaft, denn die Sperre soll bis zu 3 Milliarden Euro kosten, bis zu 1 Milliarde pro Woche. Der Obmann äußerte zwar die Hoffnung auf eine Erholung nach der Schließung, die aber von der tatsächlichen Dauer der aktuellen Schließung abhängen wird. Im Jahr 2020 wurden Versprechungen zur Rettung des Weihnachtsgeschäfts gemacht, die nur zu Entschuldigungen der Regierung und einer weiteren Verlängerung der Schließung führten. Gibt es für die Touristen, die das Glück hatten, vor der Sperrung noch keinen Fuß nach Österreich gesetzt zu haben, wirklich einen Anreiz, nach dem 12. Dezember zu kommen, insbesondere angesichts des Präzedenzfalls 2020? Im Gegenteil, viele Skitouristen aus Deutschland zweifeln bereits an dieser Möglichkeit und gehen davon aus, dass die Sperrung mindestens bis Neujahr andauern wird.
Der Verlust der Grundfreiheiten, der Verlust der Existenzgrundlage, die zunehmende Diskriminierung, die sich auftürmenden Schulden, die abnehmende psychische Gesundheit – für die Regierung sind das alles nur Kleinigkeiten. Sie wird kalkuliert haben, dass diese und die wachsende Frustration der Bevölkerung tolerierbare negative Folgen der Notwendigkeit sind, Covid einzudämmen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Sobald mehr Menschen geimpft sind, wird sich die Frustration hoffentlich auflösen. Vielleicht. Aber die Geduld kann nur eine gewisse Zeit lang strapaziert werden. Mit diesen halbherzigen Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-Krise wird bereits die Saat für die nächste Krise gelegt. Das nächste Mal wird die Bevölkerung vielleicht nicht mehr so geduldig sein.
Die Meinungen, die hier auf hayek-institut.at veröffentlicht wurden, entsprechen nicht notwendigerweise jenen des Hayek Instituts.
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